Lockwood & Co. - Die Seufzende Wendeltreppe: Band 1 (German Edition)
Rohmaterials lieferten. Allein damit machte die Fima ein Vermögen. Aber das war noch längst nicht alles. Woher ka men die hässlichen eisernen Gartenzwerge, mit denen die Londoner ihre Vorgärten spickten? Die altmodischen Protecto ™ -Halsketten? Die Plastikarmbänder mit den kleinen Eisensmileys dran, die man den neugeborenen Babys umband, bevor sie das Krankenhaus verließen? Fairfax-Produkte, jedes einzelne!
Der Firmeninhaber, John William Fairfax, gehörte zu den reichsten Leuten Englands, zusammen mit den Silberbaronen, den Erben von Marissa Fittes und Tom Rotwell sowie den Besitzern der Lavendelfelder auf den Lincolnshire Wolds. Mr Fairfax wohnte in London und brauchte nur mit dem Finger zu schnippen, schon sprangen die Vertreter der jeweiligen Regierung in ihre Dienstwagen und fuhren zu ihm.
Und dieser Mann wollte höchstpersönlich bei uns vorbeikommen!
So schnell hatten wir das Wohnzimmer noch nie aufgeräumt.
Kurz darauf hörte man draußen das diskrete Schnurren eines großen Wagens. Ich spähte aus dem Fenster und sah einen blitzenden Rolls-Royce vor dem Haus halten. Das Auto schien die ganze Straße auszufüllen. Die versilberten Gitter vor den Fenstern waren auf Hochglanz poliert, die Karosserie war mit silbernen Mustern verziert. Die silberne Figur auf der Kühlerhaube funkelte in der Wintersonne.
Ein Chauffeur stieg aus. Er strich seine frisch gebügelte graue Uniform glatt, ging um den Wagen und öffnete die Tür im Fond. Ich zog rasch den Kopf ein. Lockwood schüttelte hektisch die Sofakissen auf und George fegte mit der Hand Kekskrümel unters Sofa. »Er ist da!«, raunte ich.
Lockwood atmete tief durch. »Denkt dran – wir wollen einen guten Eindruck machen.«
Als Mr Fairfax hereinkam, standen wir auf. Trotzdem überragte der hagere Mann sowohl Lockwood als auch mich deutlich. George, der hinter ihm hergeschlurft kam, verschwand fast in seinem Schatten. Auch noch mit siebzig oder achtzig, oder wie alt er eben sein mochte, war Mr Fairfax eine eindrucksvolle Erscheinung, groß und elegant wie die Jachten, die im Hafen von Southampton vor Anker liegen. Erst auf den zweiten Blick sah man, wie ausgezehrt und gebrechlich er war. Die Ärmel des langen Seidenjacketts schlotterten um seine Arme, seine Beine zitterten, obwohl er sich auf einen Stock stützte. Er schien mir eine eigentümliche Mischung aus Stärke und Schwäche. In einem Raum mit hundert Leuten wäre er jedem sofort aufgefallen.
»Guten Morgen, Mr Fairfax«, sagte Lockwood. »Das ist meine Kollegin Lucy Carlyle.«
»Sehr erfreut.« Mr Fairfax hatte eine tiefe Stimme und einen kräftigen Händedruck. Er beugte den großen, kahlen, mit Altersflecken übersäten Schädel zu mir herab. Zwischen einer Hakennase und tiefen Stirnfalten blitzten wache dunkle Augen. Als er lächelte (es war ein angedeutetes Lächeln, das lediglich ausdrückte, dass er meine Anwesenheit zur Kenntnis nahm), blitzten seine silberüberkronten Zähne auf. Sein Gesicht strahlte Autorität und Machtwillen aus.
»Ganz meinerseits«, erwiderte ich.
Wir setzten uns. Unser Gast nahm in einem Sessel Platz. Den Mahagonistock, dessen Eisengriff wie ein Hundekopf gestaltet war, eine Bulldogge oder ein Mastiff vielleicht, lehnte er gegen sein angewinkeltes langes Bein und legte die Hände mit gespreizten Fingern auf die Sessellehnen.
»Ihr Besuch ist eine große Ehre für uns«, sagte Lockwood. »Darf ich Ihnen einen Tee anbieten?«
Mr Fairfax neigte den Kopf und gab einen zustimmenden Laut von sich. »Pitkins Frühstückstee, wenn Sie den dahaben. Ihr Junge kann gleich Zucker mitbringen.«
»Mein Junge? Ach so. Dreimal Tee bitte, George.«
George, der vergessen hatte, seine Schürze abzulegen, verzog keine Miene und verließ das Zimmer.
»Also, Mr Lockwood«, begann Mr Fairfax. »Ich bin ein viel beschäftigter Mann. Sie wundern sich sicher, weshalb ich Sie unangemeldet aufsuche, darum lassen Sie uns die Höflichkeiten überspringen und gleich zur Sache kommen. Es geht um eine Heimsuchung, die mir sehr lästig ist. Wenn es Ihnen gelingt, ihr ein Ende zu bereiten, soll es Ihr Schade nicht sein.«
Lockwood nickte feierlich. »Wir sind Ihnen selbstverständlich gern behilflich.«
Mr Fairfax ließ den Blick durchs Zimmer wandern. »Hübsch haben Sie’s hier. Und Ihre Sammlung von Agentenutensilien aus Neuguinea ist exquisit. Gehen die Geschäfte denn gut?«
»Ich kann nicht klagen, Sir.«
»Sie lügen wie ein Politiker, Mr Lockwood«, sagte der alte Mann.
Weitere Kostenlose Bücher