Lodernde Begierde
O’Malley das Lesen beizubringen. Die Tatsache, dass er als Butler und Majordomus keine freie Minute hatte, war ohne einen weiteren Gedanken beiseitegeschoben worden.
Er erhaschte einen Blick auf sein Spiegelbild in der glänzenden Silbervase auf dem Kaminsims und wischte sich rasch das verklärte Lächeln vom Gesicht, das sich dort immer wieder breitmachte, wenn er vergaß, sich auf sein üblicherweise würdevolles Erscheinungsbild zu konzentrieren. Er war einer der Höchsten seines Standes unter der riesigen Dienstbotenschar Englands, bei Gott. Er musste sein ernstes Benehmen beibehalten, oder er würde noch seinen Posten verlieren.
Mit Mühe brachte er sein Spiegelbild wieder in seine übliche hochmütige, wie gemeißelte Erscheinung und strich sich rasch die silbernen Strähnen an den Schläfen glatt, die bei den meisten Leuten den Eindruck bestärkten, dass er etwas Besseres war. Er hatte sich jede einzelne von ihnen mit harter Arbeit und jahrelangem Dienen verdient – doch jetzt wünschte er sich ein ums andere Mal, er hätte diese Jahre nicht so ungenutzt verstreichen lassen.
So. Wieder normal. Er schaute hinab, um zu sehen, ob Patricia bemerkt hatte, dass er sich von seinem Spiegelbild hatte ablenken lassen, aber sie war eifrig über ihrer Arbeit auf dem Schreibtisch gebeugt. Ihr Bleistift kratzte unermüdlich übers Papier. So ein reizendes Mädchen. Was für eine Schande, dass noch nie jemand auf die Idee gekommen war, ihr etwas beizubringen. Aber sie war noch jung – zu jung für dich, und das weißt du! –, und sie hatte erstaunliches Geschick bei der Arbeit bewiesen, sodass ihre Ladyschaft Fortescue gebeten hatte, sich um ihre weitere Ausbildung zu kümmern.
Normalerweise würde eine Dame auf Reisen ja ihre Zofe mitnehmen, aber Fortescue hatte behutsam vorgeschlagen, dass Patricia möglicherweise die richtige Person wäre, um ein Auge auf die junge Lady Margaret zu haben.
Da Lady Margaret, auch wenn sie sich seit der Ankunft ihrer neuen Mutter enorm gebessert hatte, immer noch der Ruf vorausging, so etwas wie eine … äh … wirbelnde Katastrophe auf zwei dünnen Beinchen zu sein, hatte Mylady Fortescue hastig zugestimmt und eines der anderen Dienstmädchen mitgenommen.
Fortescue wäre auch bereit gewesen, darauf hinzuweisen, dass es nicht gut wäre, Patricias Ausbildung zu unterbrechen, da sie jetzt gerade echte Fortschritte machte, aber das war nicht nötig gewesen. Es gab einfach niemanden sonst auf der Welt, der Lady Margaret bändigen konnte.
Also hatten sich die Dinge sehr zu Fortescues Zufriedenheit entwickelt. Aufgrund seiner wenigen Pflichten wegen der Abwesenheit seiner Lordschaft hatte Fortescue noch mehr Zeit, sich um Patricia – äh, Patricias Ausbildung – zu kümmern.
Im Augenblick beugte er sich gerade über ihre Schulter, um die Rechenaufgaben zu überprüfen, die sie für ihn gelöst hatte. Sie lernte rasch – ein wenig zu rasch, könnte man den Eindruck haben, wenn man ein Dreckskerl wäre, der es auf einen süßen Rotschopf abgesehen hätte, der frisch von der irischen Küste kam, was auf Fortescue natürlich nicht zutraf.
Der Grund, weshalb er dort über ihr hing und warum die Stille immer länger dauerte, war ganz einfach, dass sie so gut roch, dass er mehr oder weniger vergessen hatte, was er hatte sagen wollen.
Er hatte auch vergessen, weshalb er hier mit ihr allein war.
Und seinen Namen.
Sie drehte sich um und schaute ihn besorgt an. »Ist es denn falsch, was?« Der süße Akzent in ihrer Stimme zog an seinen Eingeweiden.
So falsch. So sehr falsch, mein Liebling. Du hast ja keine Ahnung.
Er war ihr Vorgesetzter. Er war fast alt genug, um ihr … Onkel zu sein. Er durfte seine Integrität nicht aufs Spiel setzen, seinen Ruf und seine Karriere – alles für ein keckes, kein Blatt vor den Mund nehmendes irisches Dienstmädchen mit Sommersprossen auf der Nase, laubgrünen Augen und einer Figur, die einen Heiligen in Versuchung zu führen vermochte.
Mist, schon wieder hatte er vergessen, was er sagen wollte.
Deshalb wiederholte er ihre Worte. »Und jetzt sag es noch einmal. Aber ohne das letzte Wort.«
Sie lächelte andeutungsweise. »Ist es denn falsch?«
»Eigentlich müsstest du sagen: ›Sind meine Ergebnisse korrekt?‹«
Ihre Pupillen zogen sich leicht zusammen, aber sie wiederholte es gehorsam.
Er schüttelte den Kopf. »Patricia, ich habe dir doch schon gesagt, dass du, wenn du in einem herrschaftlichen Haus dienen willst, anders klingen musst,
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