Lodernde Begierde
arbeitete aber gewissermaßen gegen sie, denn niemand würde eine Verwandte des Herzogs von Brookmoor als Haushälterin einstellen. Sie könnte vielleicht eine Stelle als Gesellschafterin finden, aber das Schicksal wäre doch dem zu ähnlich, das sie in Acton hinter sich gelassen hatte.
Sie könnte sich von Phoebe oder Deirdre aushalten lassen, könnte in deren Haushalt leben und alt werden. Sie konnte sich direkt vor sich sehen, mit Brillengläsern, die dick geworden waren, krausen Locken; ihr Verstand wäre nach einem Leben, in dem sie niemandem wichtig gewesen war, brüchig geworden, und sie würde durch die ungenutzten Teile des Herrenhauses schlurfen und ihre Übersetzungen vor sich hin murmeln.
Die verrückte Cousine Sophie, die böse Hexe des Westflügels. Schließlich wäre der Adel ohne die eine oder andere verrückte Verwandte nicht wirklich adelig.
Es sei denn, sie unternahm jetzt etwas dagegen.
Schließlich gab es keinen Grund, warum sie nicht ihre letzten Wochen in London darauf verwenden sollte, sich einen Ehemann zu suchen. Vielleicht wäre es keine Liebe, aber immer noch besser, als allein hier zu bleiben oder nach Acton zurückzukehren.
Es gab Männer, die nichts gegen eine hart arbeitende, einfache Frau einzuwenden hatten, die sich nicht zu schade war, einen Fuß in die Küche zu setzen.
Wilde Verwegenheit bemächtigte sich ihrer, als sie sich an die Worte des exklusivsten Damenschneiders Londons erinnerte, der ihr vor nicht allzu langer Zeit vorgeschlagen hatte, sie in einen männermordenden Vamp zu verwandeln.
»Ihr könntet sie alle vom Parkett fegen, wenn Ihr es wolltet, meine Liebe. Ihr müsst es nur sagen, und ich mache Euch zu meiner Muse, meinem Meisterwerk.«
Sie hatte dieses verwegene Gefühl schon einmal verspürt, nämlich als sie Tessas ersten Brief geöffnet hatte, in dem diese vorgeschlagen hatte, die Ballsaison in London zu verbringen, und als sie ihre Zukunft in die Hand genommen hatte.
Ihr müsst es nur sagen …
Der Schneider war verrückt, was sonst, zumindest war er ein Meister der Übertreibung. Lementeurs eigener Name stammte schließlich vom französischen Wort für Lügner ab.
Tessa hatte die Nase gerümpft und gesagt, dass vor ein paar Jahren niemand auch nur von dem Mann gehört hatte. Er war plötzlich da gewesen und hatte die Kleider für einige der einflussreichsten Frauen Londons geschneidert. Ein Blender, hatte sie behauptet, der alle davon überzeugt habe, der Beste seiner Zunft zu sein, obwohl er doch wahrscheinlich bloß ein kleiner Schneider aus der Gosse war.
Selbstverständlich hatte Tessa dennoch keine Sekunde gezögert, die Kleider anzunehmen, die ihr angeboten wurden. Wie konnte er ein Betrüger sein, wenn seine Kreationen so wunderschön waren und Phoebe zu einer Prinzessin und Deirdre zu einer Göttin werden ließen?
Vielleicht … nur vielleicht … konnte er seine magischen Kräfte auch bei ihr zum Einsatz bringen und sie zu einer normalen Frau werden lassen?
Sie musste ihr Schicksal wieder selbst in die Hand nehmen. Im Moment war es nicht genug, einfach nur Sophie Blake zu sein. Sie musste eine andere werden.
Zu der Graham sich hingezogen fühlte?
Entschieden unterdrückte sie diese Hoffnung. Sie war über solch unrealistische Träume hinweg. Nein, sie brauchte bloß ein praktisches Arrangement und ein eigenes Heim.
Dafür musste sie nun entschlossen kämpfen.
Obwohl Sophie nur einmal bei dem Schneider gewesen war, hatte sie keine Mühe, den Eingang zu Lementeurs großem Salon zu finden, der so viel mehr als ein gewöhnliches Schneideratelier war. Zum einen gab es keine ausgestellten Waren in großen Schaufenstern, die von den Vorbeischlendernden bestaunt werden konnten. Auch gab es keinerlei Beschilderung, nur einen einzigartigen Türklopfer in der Gestalt eines exotischen Vogels an der großen Eichentür. Man hätte leichterdings vorbeifahren können, ohne das Atelier zu bemerken.
Schon als sich Sophie der Tür näherte, konnte sie trotz des chaotischen Gedankengewirrs in ihrem Kopf die Fangarme des Luxus sich nach ihr ausstrecken fühlen. Normalerweise hätte sie einen sehnsüchtigen Blick in Richtung der Tür geworfen und wäre vorübergegangen, denn von Kleidern, wie sie von Lementeur entworfen wurden, konnte ein Mädchen wie sie nur träumen.
Sie besaß sogar zwei davon: einfache Tageskleider aus weißem Musselin, die von jedem kompetenten Schneider stammen konnten, wenn man nicht darauf achtete, dass sie perfekt saßen und die
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