Lodernde Begierde
brennenden Laternen, die an beiden Seiten des Phaeton tanzten, erzeugten nur kleine Lichtkreise. Der fast volle Mond steuerte den Rest bei.
»Wo sind wir?«
Bei ihrer Frage lenkte Mr Wolfe das Gespann an den Straßenrand und hielt an. »Es ist ohnehin Zeit für eine Rast«, sagte er aufgeräumt. »Es ist ein weiter Weg bis Gretna Green. Wir werden kaum vor der Morgendämmerung dort ankommen.«
Gretna Green? Oje. »Mr Wolfe, bitte sagt mir nicht, dass Ihr vorhabt …« Der Mann war doch gewiss nicht so dumm?
Aber er strahlte sie nur an. In der Dunkelheit wirkte er merkwürdig … hinterhältig? Was lächerlich war, denn Mr Wolfe war genau wie Mr Stickley, ein harmloser, netter Kerl, der möglicherweise ihre Aufmerksamkeiten missverstanden hatte.
Oder doch nicht?
Das Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. Er hatte erstaunlich gute Zähne. »Miss Blake, seht Ihr es denn nicht? Es war uns vorherbestimmt, in dieser Nacht an diesem Ort zusammen zu sein. Den ganzen Tag über versuchte ich herauszufinden, wie ich es am gescheitesten anstellen sollte. Sollte ich bei Lord Brookhaven um Eure Hand anhalten, da Euer Vater nicht mehr lebt? Aber jetzt ist es richtig romantisch. Wir sind Liebende, die auf die Straße gesetzt wurden, zwei Reisende, die Ruhe und Erholung auf ihrer anstrengenden Reise suchen, ein Mann und eine Frau, die heiraten werden.«
»Was?« Sophie wich vor ihm zurück. »Mr Wolfe, das kann gewiss nicht Euer Ernst sein. Wie könnt Ihr mich lieben? Ihr kennt mich doch erst seit wenigen Tagen!«
Wolfe griff nach ihrer Hand und presste sie an sein Herz. »Es liegt an Eurer Freundlichkeit, nehme ich an. Daran, dass Ihr meine Nervosität erkanntet und sie mir genommen habt, wie Ihr nie versäumt habt, mich in Eure Gespräche einzubeziehen, wie Ihr diese ganze heulende Meute mit ihren feinen Manieren und Posen durchschaut und ihren falschen Schmeicheleien nicht eine Sekunde lang geglaubt habt.« Er hob ihre Hand an die Lippen und küsste ihre Fingerknöchel. »Ihr seid ein Licht unter den Dunklen und Hohlen, Ihr seid die Einzige, die in mir den Mann gesehen hat, der ich wahrhaftig bin.«
Während er weiterredete, wuchs in Sophie das Entsetzen. Genau so würde sie aussehen und sich anhören, wenn sie Graham ihre wahren Gefühle gestand. Das unangenehme, schuldige, aber überwältigende Bedürfnis zu fliehen, das sie gerade empfand, wäre auch Grahams Reaktion auf ein solches Geständnis.
Sie hasste es, annehmen zu müssen, dass sie genauso gedankenlos und unachtsam wie Graham mit den Gefühlen anderer umging!
Doch konnte sie Graham vorwerfen, dass er nur freundlich zu ihr gewesen war, so wie sie zu Mr Wolfe? Sie hatte sich in ihre eigene Einbildung und ihre verdammten Märchen verstrickt und sich selbst etwas vorgemacht, als sie dachte, da sei mehr.
Jetzt sah sie die ganze Angelegenheit mit überwältigender Klarheit.
Sich einfach vorzunehmen, jemanden zu lieben, weil derjenige angemessen war oder es verdiente, war genauso hoffnungslos, wie sich zu wünschen, man könnte fliegen. Hier vor ihr saß ein Mann, der ihr als genauso gute Wahl vorkam wie viele andere Männer, die sie kennengelernt hatte. Doch sie konnte ihn genauso wenig lieben, wie sie sich in die Lüfte erheben konnte.
So wie Graham sie niemals lieben konnte, bloß weil sie ihn liebte oder mehr verdiente als seine Freundschaft.
Was genau verdiente sie überhaupt? Sie hatte gelogen und gestohlen. Sie hatte der gesamten Gesellschaft eine mächtige Lüge vorgespielt und so getan, als wäre sie jemand, der sie nie im Leben wirklich sein konnte.
Für sie, die sie immer das Gefühl gehabt hatte, dass ihr Äußeres ihrem Inneren nicht entsprach, war es eine ernüchternde Feststellung, dass es das vielleicht doch tat. Vielleicht war sie innerlich genauso unscheinbar und wertlos wie äußerlich.
Vielleicht verdiente sie genau das, was sie bekommen hatte.
Nichts.
Wolfes Lobpreisungen verklangen, jetzt schaute er sie mit feurigen Augen an. Er sah damit sogar ein wenig dement aus, der arme Kerl. Sie wollte sich niemals vor jemandem derart erniedrigen.
Sie atmete tief ein und versuchte, ihre Hand aus Wolfes Griff zu lösen, bevor ihre Finger noch ganz taub wurden. »Sir, ich fürchte, Ihr seid einem Missverständnis erlegen.«
Oh, die Wörter waren schrecklich, sie waren schwach und geistlos, aber was sonst konnte sie sagen? Diese Antwort würde ihn am Boden zerstören, das wusste sie aus tiefstem Herzen. Wie sie sie formulierte, machte
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