Lodernde Begierde
hatte ihm so vieles gegeben. Verständnis. Freundschaft. Einen schützenden Hafen vor dem Unglück, in dem er so lange gelebt hatte, dass er es als die natürliche Ordnung der Dinge betrachtet hatte. Sie hatte ihm die Wahrheit gesagt, über ihn selbst und seine Lebensart, doch am großartigsten von allem: über sich selbst. Bis er alles zerstört hatte, war sie voll und ganz sie selbst gewesen, ohne sich dafür zu entschuldigen. Sie hatte ihn dazu inspiriert, sich selbst zu erkennen, zu wünschen, ein anderer Mann zu sein, als der, zu dem er erzogen wurde – ein besserer Mann.
In seiner Welt voller glitzernder Fassaden und gerissener Ränke war ein ehrlicher Freund, der die Wahrheit sprach, mehr als Gold wert.
Was war passiert, dass aus Sophie eine Zynikerin geworden war?
Ich lasse nicht zu, dass die Schlechtigkeit der realen Welt meinen Wunsch zerstört, die Welt zu verbessern.
Das hatte er zerstört. Das erkannte er jetzt.
Er hatte mit ihrer Zuneigung gespielt. Angeekelt erinnerte er sich an sein unaufrichtiges Flirten und seine Gleichgültigkeit gegenüber den guten Sitten, jetzt erkannte er, was er ihr in seiner Langeweile und Launenhaftigkeit angetan hatte.
Die Tatsache, dass seine eigenen Gefühle ins Spiel gekommen waren, machte keinen Unterschied. Er hatte kein Herz zu verlieren. Seines gehörte Edencourt.
»Dann war es das also?« Sie hob das Kinn und schaute ihn gefasst an. Er wappnete sich gegen die Enttäuschung und Hoffnungslosigkeit in ihrem Blick. Er erwiderte ernst ihren Blick. »Hast du mehr erwartet?«
»Natürlich nicht. Wer bin ich schon, dass ich in dieser Welt irgendetwas erwarten dürfte?« Sie reckte stolz das Kinn und stand auf. Ihre zerknitterten Röcke ausstreichend ging sie zur Tür. »Meinen Glückwunsch zu Eurer bevorstehenden Verlobung, Mylord.«
Beiläufig nickend verschwand sie, schritt zurück in den Lärm und die Menschenmenge des Hauskonzertes, als hätte sie wichtige Angelegenheiten zu erledigen.
Sorge stahl sich in Grahams Erleichterung. Ihre grauen Augen mochten für andere ruhig und desinteressiert scheinen, waren in der Tat auch ihm vor Kurzem noch so vorgekommen, aber jetzt wusste er, welche Stürme sich unter dieser ruhigen Oberfläche abspielten. Seine Sophie war eine dickköpfige, feurige, unberechenbare Kreatur.
Neunzehntes Kapitel
D ie Zuhörer waren gerade in die beste Darbietung des Abends vertieft, als Sophie sich seitwärts durch das in Dunkelheit getauchte rückwärtige Ende des Ballsaals schob. Sie bewegte sich vorsichtig. Wenn sie es aus dem Raum schaffte, bevor das Lied zu Ende war, dann …
Ihr Ellenbogen stieß gegen eine hohe chinesische Vase auf einem Beistelltischchen. Sie wackelte und glitt dann durch ihre verzweifelt ausgestreckten Hände.
Direkt in die hilfsbereiten Finger von Mr Wolfe. Atemlos vor Erleichterung und ziemlich erfreut, in ein freundliches Gesicht zu blicken, ignorierte Sophie die ungewöhnliche Tatsache, dass er sich ausgerechnet dort aufhielt. Stattdessen war sie ihm behilflich, die Vase vorsichtig wieder an ihren Platz zu stellen. Dann legte sie ihm eine Hand auf den Arm.
»Mr Wolfe, wärt Ihr vielleicht so freundlich …«
Er warf nur einen Blick auf ihr Gesicht, seine glühenden Augen musterten sie, dann bedeckte er ihre Hand auf seinem Arm mit seiner Hand und führte sie aus dem Raum, wobei er sich stets zwischen ihr und möglichen Beobachtern hielt. Er war wirklich ein sehr aufmerksamer Mann.
Im Flur verscheuchte er einen Lakaien, der an sie herantrat. »Lasst meine Kutsche vorfahren! Seht Ihr denn nicht, dass die Dame krank ist?«
Sophie blinzelte und unterdrückte dann ein aufsteigendes hysterisches Kichern. Krank? O ja! Sie war krank. Überhitzt, übernommen, überwältigt. Infiziert mit Lust.
Natürlich nicht nur mit Lust, aber Lust spielte zweifellos eine große Rolle bei dem Ganzen. Grahams Lippen, sein schwerer, hart gewordener Körper, seine Hände …
Dann erinnerte sie sich an seine Augen, als er alles als Irrtum bezeichnete. Das Licht war aus diesen Augen verschwunden. Das Einzige, was sie in diesen einst neckenden und verspielten Tiefen noch sah, war ehrliches Bedauern.
Sie zu küssen erfüllte ihn also mit Bedauern? Sie war es wohl nicht wert. Sie hätte ihn nie so kurz nach Lilah küssen dürfen. Wie konnte sie sich nur mit einer so erfahrenen und schönen Geliebten wie Lilah messen wollen?
Du weichst dem eigentlichen Problem aus.
Problem? Es gab kein Problem. Es war ein Irrtum. Das hatte Graham
Weitere Kostenlose Bücher