Loderne Glut
Morgen erwachte, war es schon spät, und er spürte, daß die Bewohner des Hauses längst auf waren und ihren Tätigkeiten nachgingen. Er zog sich rasch an und lief die Treppe hinunter. Amanda und Taylor warteten im Durchgang zum Eßzimmer, Taylor blickte auf seine Taschenuhr, und Amanda stand hinter ihm.
»Ich schätze, ich habe mich schon wieder verspätet«, begann Hank unbekümmert und ging an den beiden vorbei ins Eßzimmer. Die Anrichte bog sich unter der Last silberner Platten und Schüsseln, die mit Rühreiern, Soßen, Schinken, Semmeln, aufgeschnittenen Pampelmusen, Waffeln und Sirup gefüllt waren. »Ah«, schwärmte er im Ton eines hungrigen Mannes, der sich köstlichen Speisen gegenübersieht.
Er füllte seinen Teller, setzte sich an den Tisch, und als er aufblickte, bemerkte er, daß Taylor und Amanda ihn beobachteten. Ein verächtlich-höhnischer Ausdruck lag auf Taylors kalten, perfekten Zügen; aber in Amandas Augen glaubte er für einen Augenblick ein sehnsüchtiges Verlangen zu erkennen - oder vielleicht war es auch echter Hunger -, ehe sie auf das wäßrige pochierte Ei in ihrer Tasse sah.
Nach dem Frühstück wurden sie bereits wieder von dem Chauffeur in der Limousine erwartet, und Hank hätte fast laut gestöhnt. Schon wieder eine Besichtigung mit lehrreichen Vorträgen.
Eine Stunde später standen sie im Kingman-Museum, das, soweit Hank dies beurteilen konnte, nichts anderes war als eine übertriebene Lobeshymne auf die Familie Caulden.
»Mein Vater kaufte vier Ranches auf«, erläuterte Amanda. »Sie waren billig, weil der Abraum aus den Bergwerken hier in der Nähe den Glass River über die Ufer treten ließ, der den Schlamm dann auf dem Land ablagerte. Mein Vater ließ mit hohem Kostenaufwand den Schlamm abtragen, so daß der fruchtbare Boden wieder zutage trat. Er sorgte auch dafür, daß der Bergwerksbetrieb in der Nähe eingestellt wurde.«
»Ich wette, daß ihm das rasch gelang«, murmelte Hank.
»Dann entwässerte er das Land und . . .«
»Wurde reich«, ergänzte Hank.
Amanda blickte zur Seite. Wieder machte er kein Hehl daraus, daß er sie und ihre Familie verabscheute.
»Wann hat Ihr Vater dieses Museum gekauft?« fragte Hank plötzlich.
»Vor zwei Jahren.« Sie verstand nicht, was er daran so lustig fand.
»Kommen Sie - ich habe genug gesehen. Lassen Sie uns nach draußen gehen.«
»Aber die Zeit, die wir veranschlagt haben, ist doch noch nicht abgelaufen. Wir müssen noch zweiundvierzig Minuten hier im Museum verbringen.«
»Aber ich gedenke, mich zweiundvierzig Minuten lang an der frischen Luft zu erfreuen.«
Widerstrebend folgte sie ihm ins Freie. Sie hoffte nur, daß Taylor nie erfuhr, daß sie das Museum vorzeitig verlassen hatten. Und was sollte sie nun mit diesem Mann anfangen? Sie ging auf die wartende Limousine zu; aber er blieb nicht an ihrer Seite. Sie schaute nach ihm und sah ihn, die Hände in den Hosentaschen vergraben, dastehen. Er wirkte gar nicht wie ein Mann, sondern eher wie ein großer Junge. Sie wünschte sich so sehr, daß er Haltung zeigen würde wie . . . wie Taylor.
»Wie weit ist es bis zur Stadt?« fragte er.
»Zweieinviertel Meilen«, antwortete sie prompt.
»Ahnte ich es doch, daß Sie es wissen würden. Ich werde zu Fuß gehen. Wir treffen uns dann vor dem Opernhaus.«
Amanda durchlebte einen Moment der Panik. Sie ahnte, daß er niemals vor dem Opernhaus auftauchen würde, und wurde schon jetzt von der schaurigen Vision geplagt, wie sie Taylor gestehen mußte, daß sie Dr. Montgomery »verloren« hatte. »Der Fahrer kann . . .«, begann sie, hielt dann jedoch inne, weil er bereits mit raschen Schritten der Stadt zustrebte. Sie seufzte, sagte dem Chauffeur, wo er sie abholen sollte, hielt ihren Hut fest und eilte Dr. Montgomery nach.
Als die Limousine an Hank vorbeifuhr und er bemerkte, daß Miß Amanda nicht im Fond saß, drehte er sich um und war überrascht, daß sie ihn im Laufschritt einzuholen versuchte. Ungeduldig wartete er auf sie. Man sollte eigentlich denken, daß ich mich gern von einer schönen jungen Frau begleiten ließe, überlegte er, aber Amanda wirkte genauso echt wie ein Magazinfoto. »Man kann mich vermutlich nicht allein in die Stadt gehen lassen, wie? Ich könnte ja einem Gewerkschaftsführer begegnen und etwas Schreckliches anstellen, richtig?«
Amanda fühlte sich plötzlich sehr müde - erschöpft von den vielen Stunden, die sie gestern nacht aufgeblieben war, um zu lernen, was sie für diesen Mann wissen
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