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Lösegeld am Henkersberg

Lösegeld am Henkersberg

Titel: Lösegeld am Henkersberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
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stahlfarbenen
Blaugrau.
    Ungezählte Autos pfropften den
Parkplatz voll. Am Taxistand war Betrieb. Auf der anderen Seite wurde eben ein
Mercedes abgeschleppt, der schon anderthalb Stunden im Halteverbot stand.
Menschen, Menschen, Menschen.
    Neben der Telefonzelle, der anrufbaren,
schwang Tim sich vom Rad. Auf dem Herweg hatte er gemeint, alle Welt starre auf
seinen Rucksack. Doch der sah aus, als enthielte er Sportklamotten. Oder
Bücher, schmutzige Wäsche, den Einkauf vom Supermarkt.
    Die Telefonzelle war leer. Tim zögerte.
Noch drei Minuten war Zeit.
    Ohne die Lippen zu bewegen, sagte er: „Ich
bin bei der Telefonzelle. Keine Vorkommnisse. Ich... Hoppla! Das Telefon
klingelt! Jetzt schon? Bedeutet das, ich werde beobachtet?“
    Er hoffte, daß seine heimlichen
Begleiter ihn hörten, öffnete die Tür und trat ein.
    Der Apparat läutete.
    Tim nahm den Hörer ab.
    „Hallo, meinen Sie mich?“
    „Ich glaube, wir sind verabredet“,
sagte eine Männerstimme.
    Sie klang seltsam, war offensichtlich
verstellt. Hatte sich der Typ Papiertücher in die Backen gestopft, Steine auf
die Zunge gelegt? Trotz des Bemühens um Veränderung der Tonlage war eine
gewisse Schrilligkeit nicht auszumerzen.
    „Was heißt hier verabredet?“ fragte
Tim.
    „Du hast einen Rucksack bei dir?“
    „Kann schon sein.“
    „Und bist jünger als 16.“
    „Jünger. Stimmt. Aber schon
schulpflichtig.“
    „Bist wohl ein Witzbold, wie? Wieviel
Geld ist in deinem Rucksack? Ich hoffe, keine Mark weniger als drei Millionen.“
    „Jaja“, sagte Tim. „Ich glaub’s Ihnen.
Sie sind einer der Verbrecher. Was nun?“
    Diese Stimme! überlegte Tim. Woher
kenne ich die? An wen erinnert sie mich?
    „Nun paß genau auf, mein Sohn“, der Typ
schien zu feixen, „damit du dich nicht verläufst. Links neben dem Hauptbahnhof
ist das Informationsamt der Stadt. Dort steht eine große Wandtafel mit einer
gezeichneten Landkarte: vom Stadtgebiet und der Region. Auch die
U-Bahn-Strecken sind eingezeichnet. Und du hast genügend Zeit zur Orientierung.“
    „Wohin schicken Sie mich?“
    Auch Tim hätte beinahe gelächelt. Denn
plötzlich wußte er, woher er die Stimme kannte.
    Nur zwei Sätze hatte der blondierte
Schläger von sich gegeben — doch das genügte für Tim, um ihn jetzt zu
identifizieren.
    Absolut klar, dachte der
TKKG-Häuptling. Der ist es. Und wie das zusammenpaßt! Döbbel, der Wirt vom
,Halben Ohr’, und der Blondierte, den er angeblich nicht kennt. Ist die Bande
dort zu Hause?
    „Du fährst mit der U-Bahn westlich aus
der Stadt hinaus“, befahl der Ganove. „Ab Endstation Wiesengrund hast du noch eine
halbe Stunde zu Fuß. Der Weg ist markiert. Du gehst zum Henkersberg und...“
    „Kenne ich“, fiel Tim ihm ins Wort. „Dort
war ich schon oft.“
    „Um so besser. Kennst du auch die
Merrick-Eiche?“
    „Wenn Sie die genau ansehen, finden Sie
meine Initialen am Stamm. P und C — Peter Carsten. Vor zwei Jahren habe ich die
Buchstaben dort eingeschnitten. Heute täte mir der Baum leid.“
    „Du gehst also zur Merrick-Eiche. Neben
ihr liegt ein Plastikbeutel, in dem sich zwei Jute-Säcke befinden. In die
füllst du das Geld um. Dann wartest du, bis wir uns melden. Klar?“
    „Begriffen“, sagte Tim. „Wissen Sie
übrigens, warum die Eiche Merrick-Eiche heißt? Merrick war ein berüchtigter
englischer Scharfrichter, ein Henker. Er lebte um 1600 und war in der Unterwelt
sehr gefürchtet. In der Ganovensprache wurde der Name Merrick damals zu einem
Bedeutungswort für alles, was man mit hängen, aufbammeln, hochziehen umschrieb.
Auch Kidnapper wurden in jener Zeit gehenkt. Danken Sie Ihrem Schicksal, daß
Sie heute leben und nicht damals. Soll ich jetzt losbrettern?“

    „Mach dich auf die Socken, verdammter
Bengel!“ kreischte die Stimme. Dann war die Verbindung unterbrochen.

20. Der Haubschrauber landet
     
    Tim wunderte sich. Mit seinem Anruf
beim Polizeipräsidium hatte der Kidnapper ausdrücklich gefordert, der Geldbote
müsse das Fahrrad benutzen. Jetzt war die Tretmühle überflüssig. Wußten die
Kidnapper nicht, was sie wollten? Hatten sie ihre Absicht geändert? Oder
wollten sie irreführen? Wenn ja, denn war dieser Trick kein Trick, sondern ohne
Witz und Wirkung.
    „Ich nehme an“, murmelte Tim in
Richtung Mikrofon, „ihr habt alles mitgehört. Ich parke jetzt meinen Drahtesel
und fahre mit der U-Bahn. Ab Endstation Wiesengrund bitte nur noch mit dem
Fernglas beschatten! Dort ist die Pampa total einsam. Jeder

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