Lösegeld am Henkersberg
Geld interessiert. Deshalb hatte er einen Job im schwärzesten Teil
Afrikas angenommen, wollte sich dort als Pilot bei einem dunkelhäutigen
Diktator verdingen, der weltweit berüchtigt war, weil er seine kleine
Bananenrepublik ausplünderte und die Menschen brutal unterdrückte.
Fallmeier hatte also hier und bei
seiner Firma nichts mehr zu verlieren. Deshalb war er bereit, seinem ehemaligen
Kumpel Knut Winzig zu helfen.
Ritschi sah auf die Uhr. „Ich komme
noch mit zu dir und hole meine Klamotten. Es macht einen besseren Eindruck,
wenn ich Gepäck bei mir habe. Das Jahreszeiten“, er lachte, „ist ja keine
Absteige. Zurück fahre ich mit der U-Bahn.“
Winzig winkte dem Kellner und übernahm
die Rechnung.
Draußen kündete sich der Abend an, ein
häßlicher Tag ging seinem Ende zu.
Winzig fuhr einen Mercedes, dessen
Fahrersitz er soweit zurückgeschoben hatte, daß auch der gewaltige Bauch
hinters Lenkrad paßte.
Sie redeten wenig. Winzig war zu satt
und schläfrig vom Wein. Ritschi träumte davon, sich mit seinem Anteil in
Spanien ein Haus zu kaufen.
Zwanzig Minuten später hielt Winzig vor
seinem Grundstück, dem ehemaligen Fuhrunternehmen.
Ritschi stieg aus und öffnete das Tor.
Der Hüne fuhr auf den Hof. Die Dämmerung war fortgeschritten. Aber als Ritschi
das Tor schließen wollte, sah er die Gestalt.
Ein Stadtstreicher schlurfte die Straße
entlang, stadtauswärts, hielt den Kopf gesenkt und schleppte sein Bündel: eine
verknotete Decke mit den Habseligkeiten.
Na, wunderbar! dachte Ritschi und
überquerte die Fahrbahn.
Weit und breit war sonst niemand.
Leo Verdroski blickte erst auf, als
Ritschi ihm den Weg verstellte.
Der Penner erschrak bis ins Mark
morscher Knochen. Trotz schwindendem Tageslicht sah er das gemeine Grinsen auf
Ritschis Gesicht.
„Sieh da, eine Ratte!“ sagte Ritschi
durch die Zähne. „Wie war das doch im ,Halben Ohr’? Ich sagte, du sollst
verschwinden. Frech geworden bist du. Hast nicht gecheckt, was Sache ist. Und
bist noch frecher geworden, als der Wirt dich zur Tür wies. Draußen hattest du
Glück. Da kam unerwartete Hilfe für dich. Und gestern abend im Hauptbahnhof
hattest du abermals Glück. Du konntest verduften. Aber jetzt, Ratte, scheint
deine Glückssträhne zu Ende zu sein.“
„Ich... Wenn Sie...“ Leo stotterte. „Sie
haben kein Recht, mich... mich anzurühren. Unsereins ist... ist kein Freiwild
Weiter kam er nicht. Ritschi schlug mit
offener Hand zu, allerdings mit voller Kraft.
Der Penner wurde von den Füßen gerissen
und gegen einen Zaun geschleudert, der an dieser Stelle ein unbebautes
Grundstück abgrenzte.
Das Bündel polterte zu Boden.
Ritschi trat dagegen. Es flog über den
Zaun auf winterdürres Gras. Nur für einen Moment wunderte sich der Ganove. Das
Bündel enthielt offenbar ein festes Behältnis. Na, was schon? Wahrscheinlich
einen Karton. Und es wäre lächerlich gewesen, die Sachen des Penners zu filzen.
Ritschi wandte sich ab und ging zu
Winzig hinüber, der auf ihn wartete.
Langsam richtete Leo sich auf. Er sah,
wie die beiden in dem flachen Gebäude verschwanden — nachdem Ritschi die
Torflügel geschlossen hatte.
19. Anweisungen mit Schrillstimme
Mitten in der Nacht wachte Gaby zum
zweitenmal auf. Es war finster ringsum. Sie fror. Schwere Atemzüge füllten den
Möbelwagen, in dem 29 Schüler nebeneinander lagen: eng wie Heringe in der
Konservendose. Die Mädchen lagen im hinteren Teil — so hatte man sich geeinigt.
Gaby spürte Alice neben sich. Sie atmete kaum. War sie wach?
Den Boden bedeckten jetzt lumpenartige
Decken und Matratzen vom Sperrmüll. O ja, die Verbrecher hatten vorgesorgt.
Sogar für ein Abendessen mit Weißbrot, Hartwurst und Limonade. Jeder durfte zur
Toilette gehen. Aber die Maskierten hatten ihre drohende Haltung nicht
geändert, und immer lagen die Pistolen in ihren Händen.
Einige der Schüler waren erst sehr spät
aufgewacht. Erstaunlicherweise bewahrten alle den Mut, auch die kleine
Heidelinde hatte nur wenig geweint. Jetzt murmelten einige im Schlaf. Manches
Gestammel klang ängstlich. Gaby drehte den Kopf zu Alice.
„Schläfst du?“ flüsterte sie.
„Ich kann nicht.“
„Brauchst du deine Tropfen?“
„Es geht auch ohne. Ich habe nur etwas
Leibweh.“
„Bestimmt kommen wir morgen frei.“
„Hoffentlich, Gaby.“
„Entweder man findet uns, oder die
Verbrecher kriegen das Lösegeld.“
„Jedenfalls haben sie uns nicht
vergiftet. Nur betäubt.“
„Ja, wir leben. Und
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