Lösegeld Für Einen Toten
eine gewisse Ähnlichkeit zwischen ihnen feststellen, die jedoch so schwach war, da sie normalerweise nicht aufgefallen wäre. Der eine war ernst und nachdenklich, während der andere sonst so lebhaft und sorglos wie ein Vogel schien. Jetzt aber zeigten beide den gleichen schockierten Gesichtsausdruck, der eine so benommen wie der andere, und hätten fast Zwillingsbrüder sein können.
Sie standen im Hof und warteten darauf, daß über sie verfügt würde. Schweigend traten sie von einem Bein aufs andere, als Hugh mit den beiden Frauen vorbeiging. Sybilla hatte ihre Tränen einigermaßen unter Kontrolle bekommen und zeigte mehr Haltung, als Cadfael erwartet hätte.
Höchstwahrscheinlich hatte sie bereits einen Teil ihres Bewußtseins und ihrer Energie auf die Einschätzung dieser neuen Situation gerichtet und darauf, was dies für ihren Sohn bedeutete, der nun der Herr von sechs wertvollen Anwesen war, die allerdings allesamt im gefährdeten Grenzland lagen. Er brauchte entweder einen sehr fähigen Verwalter oder einen starken, gutgestellten Stiefvater. Ihr Herr war tot, sein Oberherr, der König, ein Gefangener; niemand konnte sie zu einer unwillkommenen Verbindung zwingen. Sie war viele Jahre jünger als ihr verstorbener Mann und besaß eine stattliche Mitgift und ein ansprechendes Äußeres, was sie zu einer guten Partie machte. Sie würde weiterleben, und es würde ihr an nichts mangeln.
Das Mädchen war ein anderes Kapitel. In ihrer frostigen Ruhe war wieder ein schwaches Feuer aufgeflammt, und tief in den verschleierten Augen sprühten Funken. Sie warf Elis einen verstohlenen Blick zu und sah dann vor sich hin.
Hugh hielt einen Augenblick inne, um die Waliser aus der Eskorte an seine Männer zu übergeben und sie in die sichere Burg abführen zu lassen, natürlich mit aller gebotenen Höflichkeit, denn möglicherweise hatte sich keiner von ihnen etwas zu Schulden kommen lassen. Dennoch würde man sie genau und unermüdlich bewachen. Hugh wollte schon weitergehen, um die Frauen zu ihren Gemächern zu begleiten, bevor er die Untersuchungen fortsetzte, doch Melicent legte ihm plötzlich eine Hand auf den Arm.
»Mein Herr, darf ich, da Bruder Edmund gerade hier ist, ihm eine Frage stellen, bevor wir die Angelegenheit Euch überlassen?« Sie war sehr still, doch das Feuer in ihr begann durchzubrechen und unter ihrer Blässe waren scharfe, stählerne Züge zu sehen. »Bruder Edmund, Ihr kennt ja Euer Reich am besten, und ich weiß, wie gut Ihr darüber wacht - Euch trifft kein Vorwurf. Aber sagt uns, ob jemand das Zimmer meines Vaters betrat, nachdem er schlafend zurückgelassen wurde.«
»Ich war nicht ständig in der Nähe«, entgegnete Edmund unglücklich. »Gott vergebe mir, ich hätte mir nicht träumen lassen, daß es nötig sein könnte. Jeder hätte zu ihm hineingehen können.«
»Aber Ihr wißt von einem, der ganz gewiß hineinging?«
Sybilla hatte ihre Stieftochter verzweifelt und vorwurfsvoll am Ärmel gezupft, doch Melicent schüttelte sie ab, ohne sie anzusehen. »Und nur von einem?« fuhr sie scharf fort.
»Meines Wissens nach ja«, stimmte Edmund verständnislos zu. »Aber dabei ist gewiß nichts geschehen. Es war kurz bevor ihr alle aus den Gemächern des Abtes zurückkehrtet. Ich hatte Zeit gehabt, meine Runde zu machen und sah, daß die Tür des Sheriffs offen war. Vor dem Bett stand ein junger Mann, als wollte er seinen Schlaf stören. Das konnte ich nicht zulassen, und deshalb nahm ich ihn bei der Schulter, drehte ihn herum und wies ihn aus dem Zimmer. Und er ging gehorsam und ohne Protest. Es wurde kein Wort gesprochen«, sagte Edmund einfach, »und kein Schaden angerichtet. Der Patient war nicht erwacht.«
»Nein«, sagte Melicent, und endlich durchbrach ihre Stimme den Panzer ihrer äußeren Ruhe, »und er wachte auch später nicht auf und wird nie wieder aufwachen. Nennt mir seinen Namen, nennt ihn.«
Aber Edmund kannte nicht einmal den Namen des Jungen, so wenig hatte er mit ihm zu tun gehabt. Er deutete zögernd auf Elis. »Es war unser walisischer Gefangener.«
Melicent ließ einen seltsamen, bekümmerten Laut hören, eine Mischung aus Zorn, Schuld und Schmerz, und fuhr zu Elis herum. Ihre marmorne Bleichheit war hitzig und weißglühend geworden, und das Blau ihrer Augen glich dem blendenden Glanz, den die Sonne dem Eis entlockt. »Jawohl, du! Kein anderer als du! Niemand außer dir ging hinein. O Gott, was haben wir zwei nur angerichtet! Und ich, ich Närrin, ich Närrin, ich
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