Löwe gut - alles gut
gesunde Kamel kriegen wir mindestens hundert Silberstücke. Wenn wir es aber freilassen, galoppiert es blitzschnell in den Palast, und ehe wir uns aus dem Staub gemacht haben, kommen der Löwe und die Leibwache...«
Sie wußten ja nicht, daß der Sultan schon wieder auf Reisen war.
»Was schlägst du vor?« — »Was du?« — »Und du?« fragten sie sich gegenseitig. Der Älteste meinte schließlich: »Wir warten, bis es ganz dunkel ist. Dann brechen wir unser Zelt ab und wandern mit dem Kamel über die Grenze. In einer Nacht können wir über das Gebirge nach Emirstan gelangen. Morgen früh sind wir am Rand der Wüste. Dort herrscht der Emir, und der Sultan hat keine Macht mehr. Wir verkaufen das Kamel auf dem Markt. Dann mag es mit einer Karawane ziehen und seine Märchen erzählen, wem es will!«
Der lange Marsch
Und so geschah es. Das Kamel mochte noch so sehr toben. Alles Geifern nützte ihm nichts. Schließlich ermüdete es. Die Stricke schnitten in seine Haut ein, und es fühlte sich elend.
Als es Nacht wurde, rissen die Brüder ihr Zelt ab und legten es dem Kamel auf den Höcker. Und damit es ihnen nicht davonlaufen konnte, zogen sie ihm einen eisernen Ring durch den empfindlichen Nasenflügel — oh, es brüllte laut vor Schmerz! Aber nun war es vollkommen hilflos, denn der kleinste Zug war schlimmer als ein Messerschnitt. Erst danach lösten die Männer seine Fesseln, zwei kletterten auf seinen Rücken, der dritte führte es. Der lange Marsch über das Gebirge begann.
Der Weg führte steil hinauf, über Geröll und Steine, dann wieder hinab in tiefe Schluchten, durch ausgetrocknete Bachläufe. Von Zeit zu Zeit löste einer der Brüder den Führer ab, so daß dieser reiten konnte, und immer so fort im Wechsel. Nur dem Kamel wurde keine Ruhe gegönnt, die Männer hatten es eilig, die Angst saß ihnen im Nacken.
Es war dunkel. In der Ferne heulten Schakale. Tiefschwarz wölbte sich der Himmel über der tiefschwarzen Erde. Nur die Sterne strahlten tröstlich. Über den Höhen wehte der Wind und wirbelte Staub auf.
So ging es Stunden um Stunden voran. Wohin? Das Kamel wußte es nicht! Aber es fürchtete sich.
Eine Entscheidung
Ging es ihm also ähnlich wie Löwe, dem Sultan und Ka auf der Mitternachtsinsel? Sahen auch sie der Zukunft mit Bangen und Zagen entgegen?
Noch war der zwölfte Schlag der verrotteten Turmuhr nicht verklungen, da sahen sie sich von nebelbleichen Wesen umgeben, die schweigend in mäßiger Entfernung verharrten. Und kaum hatten sie sich ein wenig an deren Anblick gewöhnt, wurden ihre Nerven auf eine noch größere Probe gestellt: Ein leises, unheimliches Geräusch zirpte durch die Luft, der Fels vibrierte, es wurde zu einem Ächzen, einem Pfeifen, vielleicht so, wie wenn aus einem Gummitier die Luft herausgelassen wird — aus einem sehr gräßlichen Gummitier, versteht sich!
Löwe stand stocksteif, die Haare gesträubt, den Hals vorgereckt. Auch Ka dachte jetzt nicht an Schlaf! Und der Sultan — nun, in solchen Situationen fühlt selbst ein mutiger Mann einen gewissen Schauder.
Vielleicht war ihnen so zumute, als ob sie von Schlangen, Echsen und ähnlichen Untieren umgeben wären, die darauf lauerten, auf sie loszukriechen.
Die durchsichtig-bleichen Rauchwölkchen benahmen sich beängstigend. Einige schwollen zu beachtlicher Größe auf, andere blieben winzig, aber keines löste sich von der Erde; sie wehten wie unschlüssig hin und her, drehten sich, verneigten sich, und schließlich ließen sie sich dort nieder, wo sie aufgestiegen waren.
Und dabei kicherten sie.
Eine Stimme wurde nun deutlicher, obwohl sie etwas piepsig war. Sie machte: »Hui — hui — hi — hi — hi — wui — wui — wui — ju — ju — ju — ich fresse euch mit Haut und Haaren! Wi — wi — wi — wi — oh, was seid ihr doch für furchtsame Leute, Zittergäste, Schlottergäste, Bibbergäste — huiii — huii — wu — wu — wu — wu, oh, wie schön ihr euch vor mir fürchtet, gebt es nur zu, es ist keine Schande, jeder fürchtet sich vor mir, denn ich bin furchtbar! Oh, aber wie werdet ihr erst bibbern, wenn ihr mich seht, wenn ich euch mit meinen rotunterlaufenen Augen anschaue und euch meine grünen Haare um die Ohren schlage und euch meine glühenden Fingerspitzen in die Nasenlöcher stopfe!«
Das waren schon schreckliche Drohungen! Trotzdem kannte das grauliche Wesen mit der Mäusepiepsstimme noch kein Erbarmen: Wutsch! stand es vor ihnen. Es sah ungefähr aus wie eine
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