Löwe gut - alles gut
wieder mit seinen Augen, die einfach immer zufielen, aber nun riß er sie weit auf, um den fürchterlichen Bewohner zu erblicken, der ihnen angekündigt worden war.
Nichts!
Die kantigen Steine und Schroffen schimmerten blaß und öde im ungewissen Licht der Nacht, das eigentlich gar kein Licht war, sondern ein sehr matter Schein, den die Sterne über alles legten, aus ihrer unausdenkbaren Entfernung.
Oder doch? Stand ganz oben nicht ein Riese? Unbeweglich, wie aus Fels gehauen? Ein Ungeheuer, in tausend Kämpfen angeschlagen und zerrissen? — Nein! Es waren nur die Reste einer Burg. Abgebröckelte Mauern umzogen einsam aufragende Wände, in denen leere Fensteröffnungen klafften. Und was wie ein Riese aussah, war die Ruine eines mächtigen Wachtturmes.
Dies war kein Ort, an dem man freiwillig und vertrauensvoll an Land ging. Nirgends regte sich Leben. Tot wie der Mond lag die Mitternachtsinsel im Meer.
Zwischen zwei Felsblöcken verankerte der Sultan die kleine Jacht.
Löwe hatte die Seekrankheit nun gänzlich überwunden. Das Abenteuer hatte seine Lebensgeister geweckt.
Auf festem Boden blieben sie zunächst stehen, um zu lauschen. Es war still wie in einer Grabkammer, nur der Wind heulte leise.
Oder war es etwa das wimmernde Weh und Ach matter, zu Tode gequälter Wesen?
Da! Plötzlich schimmerte etwas zwischen den Steinen, leuchtete wie Diamanten und Rubinen, strahlte golden, glühte rötlich...
Löwe sprang! Vor ihm lag ein goldener Reif, besetzt mit vielfarbigen Edelsteinen: eine Krone!
»Sultan! Nimm deinen Turban ab, ich kröne dich zum König der Mitternachtsinsel!«
»Rühr es nicht an!« krähte Ka. »Vielleicht ist es verzaubert!«
»Pah!« Löwe schnappte das Geschmeide, packte es mit den Zähnen — aber im Maul hatte er nur einen rostüberzogenen Eisenreifen. Verblüfft ließ er ihn fallen; er sprang klirrend die Felsen hinab.
»Was war das?« stotterte der Sultan. »Ich hätte geschworen, es sei eine Krone gewesen!«
»Ich sag es ja: verzaubert,
wenn ihr mir doch nur glaubert!«
dichtete Ka, zwar nicht formvollendet, aber dafür verblüffend geschwind.
Der Sultan fuhr sich über die Stirn. »Wir müssen sehr vorsichtig sein und Augen und Ohren offenhalten.«
Kaum gesagt, wurde ihre Standhaftigkeit schon auf die Probe gestellt. Auf dem Turm begann es zu rattern. Eine mißtönende Glocke schlug eins, zwei, drei, vier, fünf... zwölfmal.
Mitternacht!
Es überrieselte sie kühl. Und Löwes Schnurrbarthaare sträubten sich. Seine Flanken bebten.
Aus den Klüften ringsum stiegen Nebelschwaden auf, verharrten gleich Rauchfähnchen in mäßiger Höhe und sahen aus wie Gestalten, denen unter der Sonne nichts glich.
»O Sultan, jetzt ist es um uns geschehen — würde ich sagen, wenn ich das Kamel wäre!« flüsterte Ka.
Arme Brüder
Das Kamel! Haben wir etwa das Kamel vergessen? Ach nein — nur gibt es soviel zu berichten.
Ein Wort der Erinnerung genügt, und wir wissen wieder, in welch erbärmlicher Lage es sich befand: gefesselt und mit einem Maulkorb über seiner nur erlesene Genüsse gewohnten Schnauze.
Noch am Abend stand es in dem kleinen Hof, blickte grimmig und schnaubte wütend.
Die drei Männer, die es überwältigt hatten, waren Brüder. Not hatte sie hart gemacht. Sie hockten im Zelt und berieten, was sie mit ihrem Fang machen sollten. Ein Kamel ist ein großer Wert, man kann es verkaufen oder für sich arbeiten lassen. »Dieses Trampeltier ist ganz schön wild!« meinte der Älteste. »Wenn es noch länger so brüllt, hört man es womöglich. Wer weiß, ob sein Besitzer nicht schon nach ihm sucht. Ich gehe hinaus, um ihm das Fell zu gerben, bis es still ist!«
Er kroch durch die niedrige Zeltöffnung, und gleich darauf hörte man draußen klatschende Schläge. Das Kamel brüllte, und der Mann brüllte — und dann klang es wie eine Unterhaltung von zwei Leuten, die fuchsteufelswild aufeinander sind.
Gleich darauf kam der Mann zu seinen Brüdern zurück. Er war jetzt sehr erregt: »Es ist das Kamel des Sultans!« flüsterte er heiser. »Das hat es mir eben durch den Maulkorb zugeschnaubt — ich bin ganz naß im Gesicht! Und wenn wir es nicht sofort laufenlassen, geht es uns schlecht. Es hat mir gedroht, wir würden an den Füßen aufgehängt und auf die Sohlen gepeitscht... oder der Löwe des Sultans zerreißt uns...«
Bei Allah! Das war eine böse Nachricht! Mit dem Sultan und seinem Löwen bekam in Sultanien niemand gern Arger. Sie überlegten: »Für dieses
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