Löwenherz. Im Auftrag des Königs
ständig war alles feucht, ständig war Sire Guy übel. Und das Schlimmste: Sire Guy hatte eine Todesangst vor dem Wasser. Die bloße Vorstellung, dass es da draußen überall um das Schiff herumschwappte und die Küste nur noch eine Ahnung am Horizont war, ließ seine Eingeweide zusammenschnurren. Finster fuhr er fort: »Außerdem haben wir einen Handel – Ihr bekommt das Geld und ich bekomme die Kinder.«
»Und was wollt Ihr mit ihnen tun, wenn wir Euch erst im Heiligen Land abgesetzt haben?«
»Ich kann mich nicht erinnern, dass unser Handel die Offenlegung meiner Pläne eingeschlossen hätte.«
»Schon gut!«, beschwichtigte Hugo. »Am Ende haltet Ihr mich noch für einen neugierigen Mann.«
»Lasst einfach das ›neu‹ weg«, gab der Normanne zurück.
Guy hatte sich in Marseille auf Hugos Schiff begeben und als Lehensmann von Sheriff Roger de Laci ausgewiesen. Auf diesen Namen hatte der Schiffsmeister sofort reagiert. Immerhin war der Sheriff seit Monaten der Endabnehmer von Hugos Waffenlieferungen.
Sire Guy war dem Weg dieser Lieferungen in umgekehrter Richtung gefolgt – von Melcombe über Cherbourg nach Marseille. Dort hatte er Hugo aufgesucht und ihm etwas von drei jungen Reisenden erzählt, von denen zwei die Kinder eines verschollenen angelsächsischen Lords seien. Sie seien im Auftrag König Richards auf dem Weg ins Heilige Land. Hugo solle die drei auf sein Schiff locken. Was immer sie an Vermögen bei sich trügen, solle dafür dem Schiffsmeister gehören; die Kinder selbst sollten dann als Gefangene Guys zusammen mit ihm im Heiligen Land abgesetzt werden.
Plötzlich wurde laut an die Kajütentür gehämmert.
»Was ist los, zum Teufel?«, rief Hugo.
Sire Guy blickte überrascht auf, als Ediths Stimme ertönte: »Um Himmels willen, Schiffsmeister, kommt schnell! Oh Gott, es ist schrecklich! Schnell, schnell!«
Guy sprang auf, aber Hugo winkte ab. »Ihr bleibt hier. Ihr dürft Euch noch nicht zu erkennen geben. Erst möchte ich sicher sein, dass wir das Schiff, das uns seit Marseille folgt, auch wirklich abgehängt haben.« Er trat zur Tür, schob den Riegel zurück und öffnete sie einen Spaltbreit: »Was ist denn so schrecklich …«
Von draußen wurde heftig Druck auf die Tür ausgeübt und Hugo musste in die Kajüte zurückweichen. Robert und Edith de Kyme traten herein. Robert hielt die Spitze seines Schwerts auf Hugos Kehle gerichtet. Ein Blutstropfen glänzte auf dem blanken Stahl, die Klinge hatte Hugos Haut leicht geritzt.
»Ihr solltet Euch schämen, dass Ihr Euch von drei Kindern übertölpeln lasst«, hörte Guy den jungen Lord de Kyme sagen. »Schwache Leistung!«
Sire Guy rollte sich vom Bett und wollte sich sein Schwert von Hugos Tisch schnappen, aber Edith war schneller. Sie fegte die Waffe samt dem Weinkrug, den Bechern und Sire Guys gutem Mantel auf den Boden. Der Wein färbte das weiße Marderpelzfutter rot. Guy stürzte sich auf sie, aber sie hatte das Schwert schon aus der Scheide gezogen und richtete es gegen ihn. Er erstarrte. Für einen Moment schien er im Zweifel, ob sie wirklich zustoßen würde. Aber ein Blick in ihre Augen belehrte ihn eines Besseren. Außerdem wusste er genau, wie scharf die Klinge war. Schließlich hatte er sie selbst geschliffen.
Polternd kamen drei von Hugos Seeleuten herbeigerannt. Robert rief ihnen entgegen: »Bleibt stehen, wo ihr seid, oder euer Schiffsmeister ist ein toter Mann!«
Edith setzte hinzu: »Und Sire Guy auch!«
»Raus mit euch!«, befahl Robert. »Alle raus! Ihr auch, Schiffsmeister. Und keine hastigen Bewegungen!«
An Deck waren Bruder und Schwester wie auch ihre Geiseln im Nu von den Matrosen umringt. Sire Guy ahnte, dass auf beiden Seiten Ratlosigkeit herrschte. Er fragte sich, wo dieser kleine Strauchdieb aus dem Barnsdale Forest abgeblieben war. Hatte er den Steuermann als Geisel genommen? Guy riskierte einen Blick zum Heckkastell und sah zu seinem Schrecken, dass der Platz am Steuerruder leer war. Aber da eilte der Steuermann auch schon herbei, schob seine Kameraden beiseite und stellte sich breitbeinig hin. Sire Guy wusste einige Augenblicke lang nicht, was schrecklicher war: eine Schwertspitze an der Kehle oder mit einem steuerlosen Schiff unterzugehen. Ein zweiter Blick beruhigte ihn wenigstens zur Hälfte: Das Ruder war ordentlich mit Tauen festgezurrt. Das Segel war prall. Hugos Männer hatten es ganz weit ausgespannt und die Enden vertäut, als gälte es, ein Rennen zu gewinnen. Eins musste Guy zugeben:
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