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Löwenherz. Im Auftrag des Königs

Löwenherz. Im Auftrag des Königs

Titel: Löwenherz. Im Auftrag des Königs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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wirklich alles andere im Sinn, als einen Blick ins Verlies zu werfen. Wenn es tatsächlich Gefangene gab, kann es sein, dass sie alle längst tot sind. Tut mir leid. Hattet ihr Freunde dort im Verlies?«

12
    I ch mache es trotzdem«, sagte Robert später. Raymond war längst mit dem einen Kamel über alle Berge, aber Edith hatte ihre Fassung immer noch nicht wiedergewonnen. Ihre Gedanken wateten wie durch Brei.
    Doch statt gemeinsam mit ihr zu verzweifeln, raffte Robert sich unerwarteterweise auf und stülpte sich Raymonds Helm über. Er war ihm zu groß und rutschte ihm ins Gesicht, selbst als er das Band unter seinem Kinn zusammengeknotet hatte. Er nahm in wieder ab.
    »Wir geben nicht auf, so kurz vor dem Ziel!«, sagte er leise. »Was weiß Raymond schon, dieser Feigling!«
    »Robert … bitte sei vorsichtig!«
    »Ja, Mylady«, sagte er und lächelte zaghaft.
    Edith rappelte sich auf und küsste ihren Bruder auf die Wange. Sie hatte schon gefürchtet, er würde den Kuss ärgerlich wegwischen, doch stattdessen umarmte er sie. Raymonds Panzerhemd stank nach Rost und altem Fett, und in seiner Umhüllung fühlte sich Robert nur halb wie ein Mensch an, aber Edith drückte ihn an sich. Dann lösten sie sich voneinander. Edith war verlegen. Zu ihrer Verblüffung fuhr sich Robert über die Augen und wischte eine Träne weg.
    »Ich hab Angst, Edith«, flüsterte er.
    »Ich bin sicher, du hast Recht – Papa ist irgendwo dort drinnen.«
    »Nein, das meine ich nicht … Ich habe Angst zu versagen. Dass ich im entscheidenden Moment irgendeinen Blödsinn mache. Dass ich …«
    »Pssst«, machte Edith. »Was man beredet, das redet man herbei.«
    Er versuchte die Schultern zu straffen, doch sie sanken wieder herab. »Hey!«, sagte Edith. »Wer hat grade noch verkündet, dass wir nicht aufgeben, so kurz vor dem Ziel?«
    »Und wenn es mir ergeht wie Johnny und die Sarazenen mich schnappen?«
    »Sie schnappen dich nicht. Sie sind viel zu beschäftigt mit der Belagerung.«
    »Soll ich dir was Verrücktes sagen? Ich wünschte, Johnny wäre noch bei uns.«
    »Ja, das wünschte ich auch. Und soll ich dir auch was Verrücktes sagen?« Edith hätte beinahe hinzugefügt: Ich wollte, König Richard wäre bei uns. Stattdessen fuhr sie fort: »In Raymonds Panzerhemd siehst du fast aus wie Papa.«
    Robert strahlte und zog einen Fetzen Tuch unter seinem Waffenrock hervor. Edith sah Rot und Gold und glaubte zunächst, Robert habe den Wimpel König Richards von Hugos Schiff mitgenommen. Hatte Robert etwa ihre Gedanken gelesen? Doch dann sah sie genauer hin: Statt der zwei goldenen Löwen befanden sich goldene Kreuze auf dem roten Untergrund, teils überdeckt von einem ebenfalls goldenen Sparren. Es war das Wappen des Hauses Kyme.
    »Hab ich von zu Hause mitgebracht«, sagte Robert und stopfte das Tuch wieder zurück. »Ich wollte, ich könnte es tragen statt dieser Farben hier.«
    »Manchmal«, sagte Edith mit belegter Stimme, »muss man darauf verzichten, Farbe zu bekennen, Lord de Kyme.«
    »Wie hast du mich grade genannt?«
    »Mach, dass du loskommst! Ich verstecke mich mit dem Kamel dort hinten zwischen den Felsen, so wie wir es abgesprochen haben.«
    Sie spähten über den Rand des Flussufers, aber die Staubglocke über dem Belagerungsring der Sarazenen war noch dichter geworden. Edith zerrte das Kamel davon. Robert setzte sich den Helm auf und wartete neben dem Pferd Raymonds auf der Böschung. Wenn die Ritter aus Kerak zurückkehrten, würden sie hier wieder vorbeikommen. Robert würde auf sein Pferd springen und Thibaud d’Orval in die Festung folgen. Panzerkapuze und Helm würden seine Gesichtszüge bis dahin verbergen. Edith und Robert hatten die Pfeile, deren Spitzen glatt und ohne Widerhaken gewesen waren, aus der Hinterhand des Pferdes gezogen. Das Tier würde bis zur Burg durchhalten. Danach musste Robert versuchen Thibaud möglichst lange aus dem Weg zu gehen – und möglichst schnell das Verlies finden. Und hoffen, dass Lord Wilfrid tatsächlich dort war. Am Ende kam es dann nur noch darauf an, dass Gott und der heilige Andreas und alle himmlischen Mächte, die sonst gerade nichts Besseres zu tun hatten, auf ihrer Seite waren.
    Edith traf eine Entscheidung: Wenn Robert nicht bis spätestens morgen bei Tagesanbruch irgendein Zeichen geschickt hatte, würde sie ins Lager der Sarazenen gehen und zu Sultan Saladin vordringen. Sollte ihr dies gelingen, würde sie ihm die Schwachstellen Keraks verraten. Sie würde die

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