Löwenherz. Im Auftrag des Königs
Koch.
»Ich kann noch nicht losschlagen«, knurrte der Sheriff, während er mit seinem Messer das Fleisch von Knochen und Sehnen trennte. Er sah Victor dabei nicht an. »Die letzte Waffenlieferung ist irgendwo verloren gegangen. Verdammt! Vielleicht ist das Schiff untergegangen. Ich habe Guy de Gisbourne, diesen Vollidioten, losgeschickt, damit er sich darum kümmert, aber er ist auch verschwunden. Wenn er mit dem Schiff abgesoffen wäre, hätte es wenigstens ein Gutes.«
»Aber es sind doch genügend Waffen da, Messire!«
»Nicht annähernd.«
Victor kratzte sich am Kopf. »Es geht doch nur um die paar kümmerlichen angelsächsischen Adligen, Messire. Wie viele Kämpfer können die schon aufbieten? Und selbst wenn sich die Bauern auf die Seite des Adels schlagen, ist das keine wirkliche Verstärkung. Oder hab ich was falsch verstanden? Ich meine …«
Was Victor verstanden hatte, war dies: Roger de Laci hatte schon vor einem Jahr damit begonnen, normannische Adlige auf seine Seite zu ziehen. Er war ganz vorsichtig vorgegangen, denn der alte König Henri, Richards Vater, hätte mit einem Verräter kurzen Prozess gemacht. Und Verrat war es, was der Sheriff plante, Verrat an den Plänen des Königs. Er und die anderen normannischen Herren hatten die Nase voll davon, immer Rücksicht auf die Angelsachsen nehmen zu müssen. Die waren ein besiegtes Volk – und das seit über hundert Jahren! Pech gehabt! Der eigentliche Skandal war doch, dass es immer noch angelsächsische Adlige mit Grundbesitz gab und angelsächsische Bauern, die ständig Ausreden erfanden, um ihren normannischen Grundherren die geforderten Abgaben nicht zu zahlen. Der Plan des Sheriffs war einfach: Er wollte eine längere Abwesenheit oder eine politische Schwäche des Königs nutzen, um mit Gewalt die letzten angelsächsischen Barone in seinem Verantwortungsbereich zu enteignen, die Bauern zu vertreiben und den frei gewordenen Besitz unter sich und seinen Verbündeten aufzuteilen. Und bevor der König anfangen konnte zu toben, würde er, de Laci, ihm beweisen, dass all dies nur zu des Königs Vorteil sei. Die Normannen, die nun auf angelsächsischem Land säßen, hätten sogar freiwillig mehr Steuern gezahlt, weil ja jeder von ihnen durch den Handstreich zum reichen Mann geworden wäre und es sich hätte leisten können. Alle hätten gewonnen, bis auf die Angelsachsen, aber wer interessierte sich schon für Angelsachsen, die als Bettler über das Land zogen oder in einem frisch ausgehobenen Grab lagen? Ob sich dann andere Sheriffs und normannische Adlige dieses Vorgehen zum Beispiel nehmen würden, spielte keine Rolle. Soweit Victor verstanden hatte, ging es hier nicht darum, das Land umzukrempeln, sondern darum, zusammen mit dem Sheriff von Nottingham reich zu werden.
Victor hatte sich dem Sheriff ohne Zögern angeschlossen. Diane wusste nichts davon. Die ihm zugeteilten, neuen Ländereien würden sein Hochzeitsgeschenk an sie sein. Sie würde ihn bewundern. Und wenn er der neue Herr auf Kyme war, würde niemand mehr wagen, darüber zu spotten, dass er, Victor d’Aspel, sich nur in das Nest setzte, das ein anderer gebaut hatte.
»Ihr seid offenbar nicht auf dem Laufenden«, sagte der Sheriff leise. »Das war der Plan, solange der alte König Henri lebte. Jetzt haben wir einen neuen König. Er ist noch schwach. Seine Krönung ist durch die Unruhen in London entehrt worden. Außerdem hat er das falsche Signal gesetzt, indem er die Mörder der Juden hängen ließ. Er hätte besser die Juden hängen sollen. Und er hat mich beleidigt, mich, den Sheriff, einen seiner wichtigsten Beamten. Das …«, der Sheriff holte tief Luft, »das schreit gerade danach … Und wenn Ihr mir jetzt mitteilt, dass Richard sich aus England davongestohlen hat …«
»Was habt Ihr vor, Messire?«, stammelte Victor. »Wollt Ihr König Richard stürzen? Wollt Ihr … wollt Ihr selbst König von England werden?«
»Ihr seid so dumm, wie der Tag lang ist, Victor. Ich mich zum König ausrufen lassen? Und dann Aliénor, die alte Hexe, am Hals haben? Nein, danke! Aber … hm … Richard hat einen kleinen Bruder, Jean, den alle Welt Jean ›Ohneland‹ nennt, weil der alte Henri ihm keine vernünftigen Ländereien hinterlassen hat. Jean ist ein Trottel. Und ein Trottel auf dem Thron braucht einen starken Kanzler, der an seiner Stelle das Land lenkt. Wie hört sich das an: Kanzler Roger de Laci?«
»Aber Jean ist seinem Bruder Richard treu ergeben …«
»Das ist er
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