Löwenherz. Im Auftrag des Königs
worden. Sie hätten mich dann einfach wieder mit in die Burg hineingenommen.«
»Und drinnen gemerkt, dass du alles nur vorgetäuscht hast.«
Der Knappe ließ den Kopf hängen. »In der Burg herrscht so viel Aufregung, dass man sich kaum um einen Einzelnen kümmert. Und Sire Thibaud ist einer von der Sorte, die einem, solange man aufrecht stehen kann, auf die Schulter haut und sagt: ›Na, war ja nur ein Kratzer, oder?‹«
Edith sagte: »Was heißt: Du wolltest eigentlich so tun, als wärst du nur verwundet worden?«
»Ich kann nicht mehr dahin zurück!«, jaulte der Knappe. »Saladin wird die Burg überrennen und alle umbringen!«
»So leicht fällt so eine riesige Festung nicht!«
»Ich habe mir sagen lassen, dass Kerak in den letzten zehn Jahren zwei Belagerungen überstanden hat. Von außen sehen die Mauern stark aus, aber an vielen Stellen werden sie nur notdürftig durch Balken gestützt. Ganze Abschnitte bestehen nur aus einem Holzgerüst, vor das man Steine geschichtet hat, damit es von draußen niemand sieht. Einer der beiden Tortürme ist so baufällig, dass ein paar Steine aus einer Schleuder reichen, um ihn einstürzen zu lassen! Die Burg ist ein Wrack, und die paar Ritter und Soldaten darin würden im Ernstfall nicht mal ausreichen, um eine unbeschädigte Festung zu verteidigen. Das ist ein aussichtsloses Unterfangen!«
»Du bist ja vielleicht ein Waschlappen!«, stieß Robert hervor.
»Was wisst ihr schon! Seid ihr vielleicht durch Stürme und voller Furcht vor Piratenüberfällen hierhergereist, nur um zu erfahren, dass alles ganz anders ist, als ihr es euch vorgestellt habt, und euch stündlich der Tod droht?«
»Trifft es ziemlich genau«, sagte Robert trocken, und Edith lächelte. Und schlagartig wusste sie, wie sie es anstellen mussten, damit wenigstens einer von ihnen in die Burg gelangte.
9
A ls der Sarazene Johnny Greenleaf am Ende eines scharfen Ritts von seinem Pferd hinuntergleiten ließ, gaben Johnnys Beine nach und er landete auf dem Hintern. In seiner Panik dachte er nur an eins: Gib dir vor denen auf keinen Fall irgendeine Blöße!
Im nächsten Moment lag er schon auf den Knien und übergab sich. Bäuchlings auf einem Pferd zu liegen, während dieses im Galopp durch die Wüste getrieben wird — das war eine harte Probe für jeden Magen. Die Sarazenen lachten. Verbittert dachte Johnny: Gut gemacht! Jetzt haben sie bestimmt Respekt vor dir!
Johnny wischte sich den Mund ab und sah blinzelnd zu den Soldaten nach oben, direkt in die Sonne. Er wollte sich aufrichten, anstatt im Staub zu knien, aber ihm fehlte die Kraft. Er musste all seinen Mut zusammennehmen, um sich nicht vor Angst auf dem Boden zu krümmen.
Etwas plumpste neben ihn: ein Wassersack. Der Mann, dessen Gefangener er war, wies darauf und machte eine eindeutige Geste. Halb erwartend, dass er vergiftet würde, nahm Johnny einen Schluck. Der Sarazene ermunterte ihn. Johnny spülte sich den Mund aus, spuckte und trank erneut. Dann reichte er den Sack zurück. Der Sarazene packte ihn am Handgelenk und zerrte ihn auf die Beine, ohne dafür abzusteigen. Die anderen lachten wieder. Johnny stand schwankend da und wusste, dass er jetzt irgendetwas sagen musste.
»Hast Glück gehabt, dass ich dich nicht von deinem Gaul gezogen habe«, krächzte er.
Der Sarazene grinste übers ganze Gesicht.
»Hast kein Wort verstanden, was?«, sagte Johnny mit der Frechheit desjenigen, der nichts mehr zu verlieren hat. »Das kommt davon, wenn man ein Sarazene ist und nicht mal lesen und schreiben kann.« Ihm fiel ein, dass auch er weder lesen noch schreiben konnte, aber das spielte im Moment keine Rolle.
»Hahaha!«, machte der Sarazene.
»Hahaha«, machte Johnny. »Wenn ich so schlechte Zähne hätte wie du, würde ich meine Klappe nicht ganz so weit aufreißen.«
Der Sarazene schüttelte den Kopf und brach erneut in Gelächter aus. Seine Genossen fielen mit ein. Der Sarazene zog sein Schwert und legte damit die vollendete Pantomime einer Ameise hin, die in einem Wutanfall einen Elefanten bedroht. Die Ähnlichkeit mit Johnnys trotzigem Auftritt war unübersehbar.
Johnny, der unwillkürlich zurückgewichen war, als die Klinge aus der Scheide gezogen worden war, räusperte sich. Der Sarazene behielt sein Schwert in der Hand. Johnny konnte den Blick nicht davon abwenden. Der Sarazene hörte auf zu lachen.
»Wenn ihr mir den Kopf abschlagen wollt«, sagte Johnny und fühlte neben Todesfurcht Erbitterung in sich aufsteigen, »dann
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