Löwenherz. Im Auftrag des Königs
Stimme erstarb. »Hä?«, stieß er hervor. »Wieso zum Henker war das der Grund?«
»Du wirst es sehen. Und um deine vorherige Frage zu beantworten: Wir sind keine Feinde von Sultan Saladin. Wir sind aber auch nicht seine Verbündeten. Wir sind al-Arab – wir gehören nur uns allein. Und unser Kampf gilt der Burg Kerak.«
»Raynald de Chatillon!«, murmelte Johnny.
Said sah ihn abschätzend an. Dann schüttelte er langsam den Kopf.
11
D u musst wegschauen«, sagten Raymond und Robert gleichzeitig.
Edith verdrehte die Augen. »Macht schon!«, stöhnte sie und wandte den beiden den Rücken zu. Eine Weile hörte sie Ächzen und Schnaufen, dann sagte Robert: »Fertig.«
Raymond und Robert hatten die Kleidung getauscht. Edith hielt den Atem an. Raymond, der Knappe, sah in Roberts mitgenommenen Sachen plötzlich wie ein kleiner Junge aus und Robert im Panzerhemd und den Waffenfarben Thibaud d’Orvals wie ein Mann. Sie blinzelte und fühlte einen Stich. Ihr wurde nur zu bewusst, dass die Aufgabe, die Robert ganz allein erfüllen sollte, für einen Mann bestimmt war und nicht für einen dreizehnjährigen Jungen, auch wenn die Rüstung scheinbar einen Mann aus ihm machte. Robert grinste unsicher und band sich den Kinnlatz um. Auf einmal sah er wie ein Fremder aus. Edith hatte plötzlich so große Zweifel, dass sie schon ausrufen wollte: »Blasen wir es ab! Es war eine dumme Idee.«
»Ich weiß nicht, wie ich euch danken soll«, stammelte Raymond. »Und ihr gebt mir auch noch ein Kamel?«
Edith riss sich zusammen. »So ist es abgemacht.«
Nun kam der schwierige Teil. Raymond war ein Feigling. Würde er auch zum Verräter werden? Nicht umsonst hatte Edith dafür gesorgt, dass der Kleidertausch stattfand, bevor sie Raymond mitteilte, was der Preis für seine Flucht in Roberts Kleidung war. Raymonds Feigheit würde hoffentlich seinem kümmerlichen Bedürfnis, wenigstens einen Teil seiner Ehre zu retten, im Weg stehen. Oder würde er rufen: So hab ich mir das nicht gedacht! Her mit meinen Klamotten, ich mache den Tausch rückgängig! Edith konnte nur hoffen, dass sie den Knappen richtig einschätzte.
»Hört mal«, sagte Raymond und räusperte sich. »Dass ich euch verraten habe, wie baufällig die Burg ist – das behaltet ihr aber für euch, ja?«
»Wir versprechen es.«
Raymond räusperte sich ausgiebiger. »Warum tut ihr das alles für mich?«
»Oh«, sagte Edith, »wir tun es gar nicht für dich.«
»Ach?« Raymond sah beunruhigt aus.
»Wir tun es für den Gefallen, den du uns gleich erweisen wirst.«
Nun sah Raymond sehr beunruhigt aus.
»Der Gefallen lautet: Verrate uns, wie man an die Gefangenen herankommt, die Raynald de Chatillon in Kerak festhält.« Sie sah dem Knappen in die Augen. Ungesagt blieb das Ende des Satzes: … und verrate damit das Treuegelöbnis, das du und dein Herr vor Raynald abgelegt habt!
Raymond war zwar feige, aber nicht dumm. Sein Mund arbeitete. »Robert will in meinen Sachen in die Burg reinkommen! Genauso, wie ich wieder reinkommen wollte!«
»Wenn du wieder hättest reinkommen wollen «, entgegnete ihm Edith ungerührt. »Wie lange hat Robert, bevor er entdeckt wird? Spätestens wenn Sire Thibaud jemanden braucht, der ihm die Stiefel auszieht! Also sag uns, wie Robert zu den Gefangenen gelangt und sie befreien kann! Er hat keine Zeit, um sich lange in Kerak umzusehen. Du weißt, dass Raynald die Geiseln unrechtmäßig festhält. Du tust ein gerechtes Werk, wenn du uns hilfst.«
Raymond sah Edith so verwirrt an, dass sie ansetzte, ihm alles noch einmal von vorn zu erklären. »Ihr wisst gar nichts, oder?«, sagte er schließlich.
»Was meinst du?«
»Raynald de Chatillon ist nicht der Herr von Kerak.«
Nun war es an Edith, verwirrt dreinzusehen.
Raymond zuckte mit den Schultern. »Raynald ist seit über einem Jahr tot. Sultan Saladin hat ihn nach der Schlacht bei Hattin gefangen genommen und hingerichtet.«
»Aber … wer ist dann …«
»Die Besatzung der Burg besteht aus Raynalds ehemaligen Gefolgsleuten, aus den Rittern der Umgebung, die ihren Besitz durch den Vormarsch Sultan Saladins verloren haben. Und aus Leuten wie meinem Herrn, die im Heiligen Land ihr Glück machen wollten und in Kerak hängen geblieben sind. Immerhin ist es die einzige Festung, die den Sarazenen halbwegs Widerstand leisten kann.«
»Und … die Gefangenen?«
»Ich weiß nichts von Gefangenen. Sire Thibaud und ich sind erst vor ein paar Tagen hier angekommen und ich hatte
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