Löwenherz. Im Auftrag des Königs
zuckende Schulter. So saßen sie eine Weile lang schweigend da, ein mitleidiger, alter Mann und ein Knabe, der an einer Aufgabe gescheitert war, die über seine Kräfte ging.
19
W enig später wurde die Kerkertür wieder entriegelt, und Humphrey de Toron, der Burgherr, trat mit ein paar Soldaten herein. Er stemmte die Hände in die Hüften und verkündete: »Sultan Saladin wird noch heute den ersten Sturmangriff beginnen. Es gibt zwei Möglichkeiten: Die eine hätte mein Stiefvater Raynald gewählt, der Teufel sei seiner Seele gnädig. Sie hätte darin bestanden, euch alle an den Hälsen über die Burgmauer zu hängen, weil man bei einer Belagerung keine zusätzlichen Fresser brauchen kann. Die zweite Möglichkeit ist mein Weg. Ich gebe euch die Chance zu überleben, wenn ihr helft, die Burg zu verteidigen. Leistet mir den Treueeid, und ich lasse euch hier raus und gebe euch Waffen, damit ihr kämpfen könnt!«
Robert hatte sich inzwischen wieder etwas beruhigt und war aus Verlegenheit ein Stück von dem Fremden weggerutscht. Unwillkürlich musterte er die übrigen Gefangenen. Den Alten einmal ausgenommen, machte keiner hier den Eindruck, als könnte er sich gegen einen Sarazenenkrieger behaupten. Aber Humphrey hatte Recht: Eine schlechte Chance war immer noch besser als gar keine. Der Meinung schienen auch die Kaufleute zu sein. Einer nach dem anderen kniete vor Humphrey nieder, faltete die Hände und hob sie in die Höhe. Humphrey umfasste sie und murmelte einen Segensspruch. Die Zeremonie unterschied sich nicht von jenen, die Robert zu Hause miterlebt hatte. Sie war üblich, wenn ein Freibauer sich seinem Vater als Vasall unterworfen hatte oder ein kleiner Ritter die Lehenshoheit de Kymes über das Gut, das Wilfrid ihm überlassen hatte, anerkannte.
Schließlich waren nur noch Robert und der Alte übrig. Dieser war die ganze Zeit über ruhig sitzen geblieben und hatte mit keiner Regung zu verstehen gegeben, was er von Humphreys Angebot hielt. Als Robert aufstehen wollte, fühlte er zu seiner Überraschung, wie der Alte ihn packte und wieder auf seinen Platz zog. Dann erhob sich der Greis mit einer geschmeidigen Bewegung, die Robert mit seinen dreizehn Jahren schwergefallen wäre, und hielt Humphrey die geöffnete Hand hin.
Humphrey legte den Kopf schief und ratterte etwas in der Landessprache. Der Alte zuckte mit den Schultern und antwortete. Humphrey winkte ab. Der Alte setzte sich wieder und tat so, als wäre der Burgherr Luft.
Humphrey überlegte kurz, dann kam wieder ein Satz in dieser melodischen, kehligen Sprache. Diesmal war es umgekehrt: Er hielt nun dem Alten die offene Hand hin. Der stand auf und schlug ein. Als Humphrey sich zurückziehen wollte, hielt der alte Mann seine Hand fest. Ein längerer Monolog folgte, dabei deutete er auf Robert.
Robert schluckte. Was hatte das zu bedeuten?
Humphrey musterte den Alten, dann Robert, dann wieder den Alten. Der Greis gab sich mit einem unverschämten Grinsen als echtes Schlitzohr zu erkennen. Humphrey grinste zurück und parierte mit einer Frage, die wie eine Drohung klang. Daraufhin zuckte der Alte nur mit den Schultern und sagte gelassen: »Inschallah.«
Humphrey ließ seine Hand los und wandte sich Robert zu: »Attayak Ali hat einen Narren an dir gefressen, wie es scheint. Sag Danke zu ihm. Ohne ihn wärst du hier drin verrottet oder nach dem Kampf um die Burg entweder von Saladin oder von mir aufgehängt worden.«
Robert keuchte und brachte keinen Ton hervor. Humphrey winkte ab. »Attayak Ali bürgt für dich. Mach ihm keine Schande!«
Robert konnte nur fragen: »Warum?«
»Frag ihn selbst. Und jetzt raus hier! Ich weiß nicht, was du wirklich hier willst. Die Geschichte, die du erzählt hast, stinkt jedenfalls meilenweit gegen den Wind. Falls du irgendeinen Blödsinn planst, denk daran, dass der Alte seine Ehre auf dich setzt. Die Ehre ist bei seinesgleichen ungeheuer wichtig. Tu etwas, was seinen Treueschwur infrage stellt, und er wird sich dafür an dir rächen. Und glaub mir: Nicht mal mein Stiefvater Raynald hätte genug Fantasie gehabt für die Strafe, die dich dann erwartet.«
Robert wurde am Nacken gepackt und aus dem Verlies hinausgeschoben. Erst dann drehte er sich um. Der Alte zwinkerte ihm zu. Jetzt fiel Robert auf, dass er hinkte. Humphrey folgte ihnen, doch im Burghof mischte er sich sofort unter seine Männer.
Auf Kerak ging es zu wie in einem Ameisenhaufen. Ritter und Dienstboten, Soldaten und Mägde rannten hin und her, holten
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