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Loewenmutter

Loewenmutter

Titel: Loewenmutter
Autoren: Esma Abdelhamid
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innen auf. »Seid ihr schwerhörig? Warum macht ihr nicht auf? Warum lasst ihr mich so lange warten?«, rief ich und stürmte an ihr vorbei. Durch die Küche, den dunklen Flur entlang, die Treppe hoch in die Kammer meiner Eltern.
    Es war dämmerig, die Fenster standen weit offen, aber die Fensterläden mit den Holzlamellen waren geschlossen. Zuerst hörte ich nur die Stimme. Eine Stimme, die winselte, nein, sie jaulte wie ein Hund. Es dauerte ein paar Sekunden, bis sich meine Augen an das Licht gewöhnt hatten. Wie stickig es in dem Raum war. Da sah ich meine Mutter unter einem Berg von Kissen und Decken in ihrem Bett liegen. Sie wimmerte. Vor Schmerzen, ich wusste es sofort. Zwei Schritte, dann war ich bei ihr und zog die oberste Decke weg. »Ist doch viel zu heiß, Ummi«, sagte ich. Mehr nicht, ich wusste, sie war geschlagen worden. Wenn meine Mutter solche Laute von sich gab, litt sie unendlich.
    Meine beiden jüngeren Schwestern waren mir gefolgt. Jetzt standen sie verschüchtert hinter mir, ohne etwas zu sagen. Nur das Klagen meiner Mutter war in der Nachmittagsstille zu hören. Ich drehte mich zum Fenster, versuchte mit meinem Blick die Schlitze der Holzlamellen zu durchbohren. Wie ein Blitz durchzuckte es mich: Hier lag meine Mutter, aber genauso gut könnte ich das sein. Ich wusste, wie es ihr ging. Mir würde es genauso ergehen, das Gleiche stand mir bevor. Der blanke Horror. Ich wollte im Boden versinken.
    Einen Vorgeschmack auf das, was mich erwartete, hatte ich schon erlebt. Ein paar Tage nach der Hochzeit: Ohne dass ich danach frage oder überhaupt eine Ahnung davon habe, was es ist, drückt mir meine Schwägerin eines Nachmittags ein buntes Magazin in die Hand. »Du hast doch keine Erfahrung mit Männern«, sagt sie. »Schau dir das mal an.« Ein Pornoheft. Das ist wohl ihre Art der Aufklärung. Ich bin geschockt, so etwas habe ich noch nie gesehen. Das will ich auch nicht sehen, mein Gott, ist mir das peinlich. »Aber nein, das ist doch nichts für mich«, flüstere ich wahrscheinlich mehr, als dass ich es sage. Für wen hält sie mich denn? Ich schäme mich und lege das Heft weg, ohne es durchgeblättert zu haben.
    Doch abends, kaum ist mein Mann zu Hause, erzählt ihm die Schwägerin kichernd, dass sie mir ein Pornoheft gegeben habe. »Und hat sie sich die Schweinereien angesehen?« – »Hmmm, glaube schon.« Wie ein wild gewordener Stier geht Abdullah da auf mich los, schreit und schlägt um sich. »Du Hure, dass du dich nicht schämst.« – »Das stimmt doch nicht, ich habe nichts gesehen«, rufe ich, »ich wollte das gar nicht.« Aber da hat er mich schon erwischt. Mit beiden Händen schlägt er mir ins Gesicht und auf den Kopf. Wie ein Besessener. Als ich den Kopf zwischen die Arme nehme, trifft mich seine Faust im Rücken. Ich falle, ohne etwas zu spüren, rolle mich auf dem Boden zusammen und krieche in eine Ecke. Doch das reicht Abdullah immer noch nicht. Mit beiden Händen packt er mich an den Hüften, zieht mich hervor und drischt weiter auf mich ein.
    Alles tat weh, mir war hundeelend. Was hatte ich getan? Ich konnte mir selbst nicht mehr in die Augen sehen und wusste nicht einmal, warum. Weil ich das dumme Heft, das mir meine Schwägerin in die Hand gedrückt hatte, nicht angeschaut hatte? Hätte ich das tun sollen? Oder nicht? Abdullahs Wut war mir unbegreiflich. Egal wie ich mich verhalten hätte, es wäre falsch gewesen. Ich hätte es nicht richtig machen können. Das machte mich hilflos und verzweifelt.
    Als mein Mann mich am nächsten Tag fragte, ob ich meine Eltern besuchen wolle, lehnte ich ab. – Er würde mich auch fahren. – Nein. – Am liebsten wäre ich überhaupt nicht mehr aus dem Haus gegangen. So wie ich aussah. Was hätte ich den Eltern sagen sollen? Woher die blauen Flecken kommen? Dass mich mein frisch angetrauter Ehemann geschlagen hat? Sie würden nach dem Warum fragen. Aber das wusste ich ja selbst nicht einmal. So etwas kann man doch keinem erzählen. Wollte ich auch nicht. Ich fühlte mich schuldig, ohne zu wissen, warum. Weil Abdullah mich für schuldig hielt? Es war nicht das einzige Mal in diesen vergangenen drei Wochen, dass er mich geprügelt hatte.
    Ich wusste, wie sich meine Mutter unter ihren Kissen fühlte, und ich wusste auch, wie mein Leben in den nächsten Jahren aussehen würde: Heulend und winselnd unter einem Berg von Decken an einem heißen Sommertag. Wie ein Karussell drehten sich Mitleid, Trauer und Wut in meinem Kopf. Ich wandte meinen Blick
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