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Loewenmutter

Loewenmutter

Titel: Loewenmutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esma Abdelhamid
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Fremde
    Abdullah saß bereits im Auto und rief nach mir, also drehte auch ich mich um, ging zum Wagen und stieg ein. »Angurten«, befahl er, drehte den Zündschlüssel im Schloss und startete. »Inschallah«, klopfte mein Vater mit seinen Fingerknöcheln auf das Autoblech, »gute Reise.« Abdullah fuhr langsam an, ich winkte dem Vater und den beiden Schwestern. Da herrschte mich mein Mann schon wieder an: »Anschnallen«. Was meinte er? Ich drehte mich auf dem Autositz hin und her und verstand nicht. »Hier, dieser Gurt«, sagte er und fasste nach seinem eigenen, den er um Brust und Bauch gelegt hatte. Woher kam dieses Band? Ich wusste es nicht, er hätte es mir doch sagen können! Vielleicht lag es hinten im Koffer, aber da kam ich nun wirklich nicht dran. »So hübsch, aber keine Ahnung, was ein Gurt ist und wie man sich festschnallt im Auto.« – »Kannst du mir nicht zeigen, wie man das macht?«, fragte ich. »Wenn meine Hübsche das nicht alleine kann, werde ich sie wohl fesseln müssen.« Doch er machte keine Anstalten, anzuhalten und mir zu helfen.
    Ich vermisste meine Heimat schon jetzt. Doch anstatt letzte Bilder in mir aufzunehmen, suchte ich nach diesem blöden schwarzen Gurt. Gürtel!, dachte ich. Es dauerte lange, bis ich kapiert hatte, wie ich mich festzurren konnte. Die Tränen liefen mir übers Gesicht, aber ich wollte nicht, dass Abdullah mich weinen sah, und drehte mich weg. Er starrte ungerührt geradeaus und fuhr. Vorbei an den römischen Ruinen, in denen wir als Kinder gespielt hatten. Raus in die weite Ebene. Am Straßenrand standen Büschel von verdorrtem Gras, sonst nur Erde, Steine, Sand. Vom Sommer rot verbrannt, so weit das Auge reichte. Am Horizont sah ich die hohen kahlen Berge, in deren Tälern im Zweiten Weltkrieg das große Gemetzel zwischen Franzosen und Deutschen stattgefunden hatte.
    Es war heiß, die Sonne brannte mir durch das Seitenfenster ins Gesicht, auf den Kopf, den Arm, den Oberkörper. Alles fühlte sich klebrig an, der Autositz aus Kunstleder, mein Gesicht, meine Haut zwischen den nackten Beinen. Ich presste sie gegeneinander und spreizte sie wieder, genauso machte ich es mit meinen Handflächen, dann mit den Händen auf meinen Armen. Ein seltsames Spiel, das ich eine Zeitlang spielte, um mich zu trösten.
    Ich war noch ein Kind, als ich diese Strecke nach Tunis zum letzten Mal gefahren war. Bei einem der vielen Umzüge, die wir mit unserem Vater machen mussten, wenn er als Gendarm wieder einmal in eine andere Stadt versetzt worden war. Wir haben einen Lkw gemietet, um unsere Möbel zu transportieren. Vater fährt, Mutter sitzt mit dem jüngsten Kind auf dem Schoß neben ihm. Wir anderen Kinder hocken hinten zwischen Hausrat und Möbeln. Der Lastwagen ist mit einer Plane zugedeckt, doch wir legen uns auf den Bauch und heben sie an. Dann sehen wir hinten hinaus auf die lange Straße, die weit in der Ferne im Nichts zwischen blauem Himmel und roter Erde versinkt. Manchmal fährt ein Auto hinter uns, dann winken wir wie die Irren und hoffen, dass der Fahrer zurückwinken würde. Doch meistens hupt der und macht uns unverständliche Zeichen. Wie leicht könnte einer von uns von der Ladefläche fallen, dem nachfolgenden Auto direkt vor die Räder. Aber daran denken wir nicht.
    Ich war ein melancholisches Kind damals, manchmal frech, meistens glücklich. Jetzt war ich deprimiert und unglücklich. Ich spürte, wie mir wieder die Tränen übers Gesicht liefen. Ist das das Erwachsenenleben? So fühlt es sich also an. Wenn ich mich nun aus Abdullahs Auto hinausfallen ließe, sinnierte ich. Einfach so, mal sehen, was passiert. Oder ist das kindisch? Hat er mich deshalb mit diesem Gürtel an den Sitz gefesselt? Damit ich nicht wegkann? Warum will er mich unbedingt bei sich in Deutschland haben? Was soll ich dort? Seine Frau sein und mich schlagen lassen? Ich kenne nichts, die Sprache sowieso nicht, kein einziges Wort. Gibt es andere Tunesier dort? Jemanden aus meiner Stadt, den ich vielleicht kenne? Oder würde ich nur mit meinem Mann sprechen können?
    Diese wahnsinnige Hitze. Nicht auszuhalten in dem kleinen Auto. Mein Schweiß mischte sich mit den Tränen. Die Sonne knallte auf meine Haut. Und meine Augen brannten vom Weinen. Nie habe ich mich so allein gefühlt. Ich hatte das Bedürfnis, mit jemandem zu reden, und hatte so viele Fragen zu stellen. Aber nicht diesem fremden hageren Mann neben mir, er machte mir Angst. Und für meine Gedanken und Gefühle interessierte er sich

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