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Loewenmutter

Loewenmutter

Titel: Loewenmutter
Autoren: Esma Abdelhamid
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sowieso nicht.
    Dabei hatte ich es mir trotz einer bösen Vorahnung bei der Schließung meines Ehevertrags vor einem Jahr so schön vorgestellt. Wie sich eben jedes Mädchen seine Ehe vorstellt. Dass alles anders werden würde, wenn ich erst verheiratet wäre. Dass mich mein Mann aus dem Elternhaus befreien und auf Händen tragen würde. Doch Abdullah hatte mir bisher weder Zuneigung entgegengebracht, von Liebe will ich gar nicht sprechen, noch ein nettes Wort an mich gerichtet. Wenn er mit mir sprach, dann indirekt, »Sie soll kommen«, oder im knappen Befehlston: »Wasch mein Hemd«, »Bügle mir die Hose«. Oft überzog er mich mit überheblichen Kommentaren. Für ihn war ich nicht viel mehr als ein Geschäft, keine Partnerin, die ihn interessierte und mit der er gemeinsam etwas unternehmen wollte. Was er wollte, holte er sich.
    Und er wollte jede Nacht etwas von mir. Tagsüber existierte ich nicht für ihn, nachts kam er und wollte mit mir schlafen. Wenn ich müde war. Ist das normal? Er behandelte mich wie ein Handwerker seine Maschine. Wenn ich nicht auf Anhieb funktionierte, half er mit Fußtritten nach. Die Hochzeitsnacht, es war ein Schlachtfest, das Schlimmste, das man sich nur vorstellen kann.
    Sieben Tage. Am Abend des letzten Tages führt der Bräutigam die mit Tüchern und Bändern geschmückte Braut in sein Haus. Da Abdullah keines hatte, mietete er kurzfristig eines. Als wir dort ankommen, ist das Wohnzimmer voll mit Nachbarn und Verwandten. Alle sind da, um die Braut anzusehen. Obwohl ich hundemüde bin, muss ich auf der Terrasse Platz nehmen. Unbeweglich wie eine Statue. Und mich anstarren lassen. Von Kindern und Jugendlichen, von Alten und Jungen, die zusammengelaufen sind, weil sie die Trommelmusik und schrillen Triller der Frauen gehört haben. Stundenlang muss ich ausharren wie auf einem Altar und darf nicht einmal zur Toilette gehen. Die anderen glotzen, schwatzen, kommentieren die Braut: Was sie anhat, wie sie sitzt, wie sie verziert ist, ob sie hübsch ist, was für eine Frau sich Abdullah ausgesucht hat.
    Bis irgendwann nach Mitternacht jemand zu ihm sagt: »Höchste Zeit jetzt, dass du zeigst, dass du ein Mann und deine Frau eine Jungfrau ist.« Man würde warten, bis er getan hat, was er tun muss. Ich verstehe nicht, aber Abdullah erhebt sich. Er zertritt die Zigarette, die er sich gerade erst angesteckt hat, ungeraucht auf dem Boden und schaut mich mit flackernden Blicken an. Dann legt er seinen Arm um meine Taille. Wie eine Zange, denke ich, und erschrecke über das ungewohnte Gefühl. Er zwingt mich ins Schlafzimmer und schließt die Tür mit einem leichten Klacken.
    Ich sehe zu Boden. Rot gemusterter Teppich. Ich weiß nicht, was passieren wird. Bis heute kann ich es meiner Mutter und meiner Schwester nicht verzeihen, dass sie mich nicht gewarnt haben. Sie haben doch gewusst, was kommt. Ich nicht. Weiß nicht, wie es ist, mit einem fremden Mann im Schlafzimmer zu stehen und sich ausziehen zu müssen, nicht wie es ist, wenn der Mann eine Frau nimmt. Ich habe keine Ahnung, nicht einmal davon, wie ein Mann aussieht. Kann es mir nicht vorstellen. Zwar habe ich meinen kleinen Bruder nackt gesehen, als er noch jung war, aber nie einen erwachsenen Mann. Nicht in Zeitschriften oder im Fernsehen – und noch schlimmer, ich habe nie etwas mit einem Mann gehabt. Ich weiß nicht, wie es geht.
    Und nun steh ich allein mit ihm in diesem dunklen Zimmer, in das das Mondlicht wie gelbgrüne Galle scheint, und habe Angst. Warum hat mich meine Mutter nicht aufgeklärt? Maßlose Wut überkommt mich. Warum nicht? Ich hasse dich!, schreit es in mir. Ich weiß nicht, wo mich hinstellen, was ich machen soll. Bin diesem Mann ausgeliefert. »Du musst«, sagt er, »zieh dein Kleid aus.« Dann streift er sein Hemd über den Kopf. Er atmet laut, und ich höre das Klicken seines Gürtels, dann das Geräusch der Hose, die an seinen Beinen hinunterrutscht. Ich zittere und spüre die Zeit, wie sie sich dehnt.
    Ich friere, obwohl mir nicht kalt ist, und drehe meinen Kopf in die andere Richtung. Sehe zur Wand. Ich soll mich ausziehen? Aber ich friere doch! Und schäme mich vor diesem Mann, den ich nicht kenne. Er darf mich nicht nackt sehen, unmöglich, das ist eine Sünde.
    Da sagt er wieder: »Weg mit dem Kleid!« Nein!, denke ich. »Nimm endlich den Schleier vom Kopf. Leg dich hin! Nicht oben auf das Bett. Komm hier herunter auf den Fußboden.« – Nein! – »Auf den Teppich.« Ich gehe in die Hocke, doch ich ziehe
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