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Loewenmutter

Loewenmutter

Titel: Loewenmutter
Autoren: Esma Abdelhamid
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ab vom Fenster zum Bett meiner Mutter. Eigentlich war ich gekommen, um ihr von meiner Angst vor der Reise in ein fremdes Land zu erzählen. Ich hoffte, sie würde mich trösten, stattdessen brauchte sie nun meinen Trost. Aber ich konnte nicht. Ohne sie anzusehen, machte ich einen Schritt auf sie zu und sagte: »Ich bin gekommen, um mich zu verabschieden, Ummi.« Und dann mit einem Anflug von Galgenhumor: »Soll ich dich mitnehmen?«
    Natürlich lachte meine Mutter nicht, sie sagte auch nicht »O ja«, sie schwieg. Kauerte sich noch mehr zusammen und zog die Bettdecke, die ich vorher zurückgeworfen hatte, wieder über sich. Dafür lachten meine Schwestern jetzt und fingen an zu betteln, halb im Ernst, halb zum Spaß. »Bitte, Esma, bitte nimm mich mit nach Deutschland.« Ich sagte nichts mehr. Doch in einem Anflug von Trotz riss ich meiner Mutter die Decke wieder weg, alle Decken, und warf alles auf den Boden. Da lag sie nun in ihrem Nachthemd, ein Häufchen Elend, hilflos und willenlos. Warum hatte sie sich bloß aufgegeben? Ich war wütend auf sie und wütend auf mich selbst. Wenn ich sie brauchte, war sie nicht da. Ohne ein Wort des Abschieds machte ich kehrt und ging aus dem Zimmer.
    Von unten drangen Stimmen herauf. Mein Mann hatte den Vater von seinem Polizeiposten abgeholt. Die Tür vom Wohnzimmer war angelehnt, ich hörte, wie sie sich unterhielten, ging aber vorbei nach hinten in die Küche, in der der säuerliche Geruch von eingelegten Tomaten hing. Es war kein Feuer im Herd, also zündete ich den Gasherd an, füllte einen Teekessel aus Email mit Wasser und stellte ihn auf die Flamme. Bevor ich in die Fremde ging, wollte ich hier noch einmal Tee trinken.
    Ich suchte nach Sesamkeksen und stellte auf einem Tablett Teller und Tassen bereit. Als ich es ins Wohnzimmer trug, nahmen weder mein Vater noch Abdullah Notiz von mir. Wie immer sprachen sie über Geld. »Du musst daran denken, deiner Frau und den Kindern ein Haus in Tunesien zu bauen«, hörte ich meinen Vater sagen. Abdullah nickte und vergrub seine Hände tief in den Taschen seiner feinen Hose.
    Nachdem ich den Tisch gedeckt hatte, drehte ich mich zu meinen Schwestern um, die mir auf Schritt und Tritt gefolgt waren. Mehr aus Verlegenheit rief ich ihnen zu: »Ich bin froh, wenn ich euch los bin.« – »Wie gemein«, riefen sie. »Aber was denkst du, wie froh wir erst sind!« Aufs Stichwort gingen wir gleichzeitig aufeinander los wie junge Hunde, wir schubsten uns und stolperten und fielen hin.
    Doch dem Vater war es peinlich, dass wir uns vor Abdullah so kindisch aufführten.
    Mitten im Satz unterbrach er sich und fing an zu schreien, dass wir aufhören sollten. Da lief es mir kalt über den Rücken. Konnte er nicht einmal nachgeben? Ich verzog mich in die Küche. Dort brühte ich den Tee auf, goss mir eine Tasse ein und ging mit der heißen Tasse in der Hand noch einmal durchs Haus. Die Stiegen hoch und runter, zu jedem Zimmer machte ich die Tür auf, schaute hinein und zog sie wieder zu. Ich wollte nichts vergessen.
    Mein Vater sagte nicht viel zum Abschied, nur: »Ich bin stolz darauf, eine Tochter zu haben, die ins Ausland geht und ihren Eltern Geld nach Hause schickt.« Ich nickte unsicher dazu und knotete mein Kopftuch neu. Als wir durch den Garten hinaus auf die Straße zu Abdullahs Auto gingen, legte Vater seinen Arm um meine Schultern. Das hatte er noch nie getan, er fühlte sich weich an, für einen Moment lehnte ich mich sogar an ihn. Er war mein Vater, den ich liebte, auch wenn er mich geschlagen hatte. Dann sah ich mich um. Sah noch einmal die Bäume, die er gepflanzt hatte, die Orangen und die Zitronen, die bald reif sein würden. Ich begann zu weinen und bemerkte, dass auch mein Vater Tränen in den Augen hatte.
    Während meine Schwestern an mir herumzupften und mich mit Wünschen bestürmten, was ich alles aus Deutschland mitbringen solle, wenn ich im nächsten Jahr wiederkäme, Schminkzeug, Haarbänder, Toaster, Brotschneidemaschine, schnäuzte ich mich. Ich war so aufgeregt, dass ich überhaupt nicht richtig zuhören konnte. Doch inmitten des Trubels sah ich plötzlich meine Mutter. In Hausschuhen und Nachthemd stand sie in der Haustür und blickte zu uns herüber. Die Lippen zusammengepresst, die Hände flach auf die Oberschenkel gelegt, ihr langer schwarzer Haarzopf lag wie eine Kette um ihren Hals. Ich wollte zu ihr, doch da war sie schon wieder im Dunkel des Hauses verschwunden. Wortlos. Ich habe sie nie verstanden.

Fahrt ins
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