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Loewenmutter

Loewenmutter

Titel: Loewenmutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esma Abdelhamid
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Tage vor unserem Rückflug kam er. In der Mittagszeit, die Kinder hatten sich schlafen gelegt. Im Haus war es still, Mutter döste vor dem Fernseher, den sie lautlos gestellt hatte, der Vater war bei der Arbeit. Die Türen standen offen, sodass ein leichter Luftzug durch die Räume wehte. Vor dem Hoftor gackerten Hühner. Als Abdullah vorfuhr, stoben sie auseinander.
    Im Schummerlicht der Küche wusch ich das Geschirr vom Mittagessen ab. Hatte mir starken, schwarzen Kaffee eingegossen und Kardamompulver darübergestreut. Süß wie ein Dessert. Ich war melancholisch, schaute in Vaters Spiegel über dem Spültisch. Das Ende der Ferien stand bevor: zurück in die Ehehölle. Ich wollte nicht, lieber wäre ich geblieben, auch wenn ich hier in Tunesien als Frau genauso unfrei wie in Deutschland war. In einer Atmosphäre des Zwangs und der Wut, in der jedes Gefühl aus Frauen herausgeprügelt wird. In einem Land, in dem Frauen zwar das Wahlrecht haben, alle Berufe erlernen dürfen und laut Gesetz Männern gleichgestellt sind, aber in Wirklichkeit öffentlich unsichtbar und Menschen zweiter Klasse sind. Sie haben sich unterzuordnen, dem Vater, dem Ehemann, der Schwiegermutter, dem Glauben. Brechen sie aus, sind sie verloren.
    Plötzlich stand Abdullah neben mir. »Hallo«, sagte er. »Wie geht’s?« und »Lange nicht gesehen«. Ungeschickt wischte ich mir die Hände an meinem Sommerkleid ab. »Machst du mir auch einen Kaffee?«, fragte er, bevor ich ihn begrüßen konnte. Ich füllte Wasser und Kaffeepulver in ein kleines Kännchen und stellte es auf die Gasflamme. »Was gibt’s Neues?«, fragte er. »Warst du mit den Kindern im Haus?« Ich schüttelte den Kopf, mein Zopf baumelte am Rücken.
    Mit einem langen Schluck leerte er seine Kaffeetasse und stellte sie auf den Tisch. »In vier Tagen fliegt ihr zurück nach Hamburg. Ich brauche die Tickets und die Pässe, um die Flüge zu bestätigen.« – »Was heißt Flüge bestätigen?« – »Da heißt, dass ich mit Flucktickets und Pässen, deinen und denen der Kinder, ins Reisebüro gehe und mich erkundige, ob der gebuchte Flieger wirklich fliegt. Und ich sage dort, dass ihr mitfliegen wollt.« – »Du hast unsere Papiere doch immer, warum fragst du mich danach?« – »Weil du mit den Kindern hierhergeflogen bist und Ausweise und Tickets bei dir hattest.« – »Ach ja.«
    Daran hatte ich nicht mehr gedacht. Trotzdem fühlte ich mich von seiner Frage überrumpelt. Nicht wirklich überrascht, aber ich fand es komisch, dass Abdullah mich fragte. Normalerweise holte er sich, was er brauchte, und fragte nicht lange.
    Ich leerte die Kaffeetasse, Abdullah drängte mich nicht. Dann gingen wir zusammen ins Kinderzimmer, in dem die Kinder in Kleidern auf Matratzen am Boden schliefen. Mein Mann schien sie gar nicht zu bemerken. Hatte er überhaupt nach ihnen gefragt? Es war mir schleierhaft, warum er Kinder und Familie haben wollte, obwohl wir ihn in Wirklichkeit nicht interessierten. Was waren wir überhaupt für ihn? Prestige? Demonstration seiner Männlichkeit?
    Ich ging zum Schrank neben der Tür, den mein Vater in die Wand hatte einbauen lassen. Unsere Habseligkeiten waren hier verstaut. Die Dokumente mussten in meiner blauen Reisetasche sein. Ich hatte sie gleich nach unserer Ankunft geordnet und in Plastikfolie gepackt. Mein Mann lehnte neben der Tür an der Wand und blickte zum gegenüberliegenden Fenster. Die Läden waren geschlossen, durch einen schmalen Schlitz fiel ein Lichtstreifen auf Amal, irgendwo surrte eine Mücke.
    Mir war heiß, ich fächerte mir mit der Hand Luft zu und holte die Tasche aus dem Schrank. Leicht und leer, ich stellte sie neben die Matratze. Der Reißverschluss war offen, ich ging in die Knie, griff ins Seitenfach und zog die Papiere heraus. »Hier bitte.« Ohne das Paket näher zu betrachten, reichte ich es meinem Mann, der inzwischen neben mich getreten war. Er öffnete die Folie und blätterte Ausweise und Tickets durch.
    Ich beobachtete die schlafenden Kinder. Ich war froh, dass sie sich mittags schlafen legten, so hatte ich sie abends länger um mich. »Eins, zwei, drei … und wo ist der vierte?«, hörte ich Abdullah plötzlich flüstern. »Welcher vierte?«, fragte ich leise zurück. »Der vierte Ausweis fehlt.« – »Kann nicht sein!« Ich spürte, wie ich rot wurde. »Ich habe alle vier zusammen in die Tasche gesteckt.« – »Aber ich sehe hier nur drei«, wisperte Abdullah nun fast mitleidig. Als Zeichen dafür, dass er die Wahrheit

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