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Loewenmutter

Loewenmutter

Titel: Loewenmutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esma Abdelhamid
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hatte. Der Vater war sowieso immer gegen die Nachhilfe gewesen. Als er hinter Bashmas Liebelei kam, schlug er sie windelweich. Sie ist aus dem Haus gelaufen und hat sich bei Nachbarn versteckt. Wie ein wütender Tiger brüllte der Vater dann auf der Straße nach ihr, den sandigen Weg hinauf und hinunter. Was für eine Schande! Alle haben es gehört, dass der Hadsch, der nach Mekka pilgerte und in der Moschee vorbetete, seine Tochter nicht unter Kontrolle hatte. Man hatte Angst vor ihm, und die Nachbarn brachten ihm das Mädchen gehorsam zurück. Wie sie zitterte, meine Arme, ich hätte ihr gern geholfen.
    Aber keiner durfte mit ihr sprechen. Mein Vater traktierte sie mit den Fäusten, bis sie aus Mund und Nase blutete, riss sie an den Haaren. Nichts hatte sich geändert, seit ich verheiratet und weg von zu Hause war. Keiner durfte Bashma helfen, sie wurde im Kinderzimmer eingeschlossen, wo sie einen ganzen Tag und eine ganze Nacht kauerte und weinte. Ich konnte ihr Wimmern noch vor der Tür hören. »Bashma«, rief ich durch die Wand, als der Vater abends noch einmal weg auf der Arbeit war. »Schwester, bitte steh auf.« Da hörte ich sie noch lauter schluchzen.
    Nun hämmerte und trommelte ich gegen die Tür und beschwor Bashma, dass sie doch mit mir nach Deutschland kommen solle, dass das Leben dort schön sei und dass wir zusammen mit den Kindern wohnen würden. Ohne Männer. Was sollten wir mit unseren Männern? »Vergiss deinen Freund. Komm mit mir.« Natürlich waren das Träume. Wie sollte sie ohne Papiere mit mir kommen? Sie hatte keine Ausbildung und keinen Beruf. Wer würde in Deutschland für sie sorgen?
    Doch darüber brauchte ich mir nicht länger meinen Kopf zu zerbrechen. Schon ein paar Tage später hatte der Vater einen Bräutigam für sie gefunden. Als Bashma und ich in der Nacht zusammen auf Matratzen und Decken in dem Zimmer schliefen, in dem wir schon als Kinder geschlafen hatten, fassten wir uns an den Händen. Sie tat mir leid, ich strich ihr über die Wange, die Haare aus dem Gesicht. »Wird schon alles gut«, flüsterte ich, »du bekommst bestimmt einen lieben Mann. Wirst sehen, der Vater hat dir einen guten ausgesucht.« Doch sie wollte alleine sein und drehte sich von mir weg zur Wand. Wie sollte sie mir glauben? Ausgerechnet ich wollte ihr helfen und sie trösten? Sie wusste, dass es mir schlecht ging. Es gab keinen Trost in dieser Situation. Auch sie wurde mit einem Mann verheiratet, den sie noch nie vorher gesehen hatte. Als sie sich ein paar Jahre später von ihm trennen wollte, stach er sie mit dem Messer nieder.
    Es hatte sich einiges geändert, seit ich in Deutschland lebte. Die Nachbarn hatten ihre Häuser ausgebaut und noch ein paar Mauern gezogen, aus einer eher provisorischen Ansiedlung, in der Höfe und Gärten offen lagen, waren streng umfriedete Einfamilienhäuser geworden. Jeder blieb für sich. Weiß getüncht und kühl. Aber der gelbe Sand auf der Straße, die vertrockneten Grashalme am Rand, der bunte Plastikmüll in den Mauernischen, der stahlblaue Himmel, die heiße Luft, in die sich der saure Geruch von vergammelter Milch mischte, waren noch wie früher. Manchmal saß ich auf den Stufen vor der Gartenmauer in der Sonne und unterhielt mich mit den Nachbarn, die ich noch von früher kannte. Als verheiratete Frau durfte ich mich endlich auf der Straße aufhalten. Jedes Mal, wenn ich nach Hause kam, genoss ich diese kleine Freiheit vor dem Hoftor, von wo aus ich hinauf bis zu einer Weggabelung und hinunter bis zur steinig grauen Steppe vor der Stadt sehen konnte.
    Auch die Kinder fühlten sich wohl. Wenn ich auf der Straße war, ließ ich sie mit den Nachbarskindern spielen, Fangen oder Verstecken. Wenn sie essen wollten, holte ich einen Granatapfel aus dem Garten und brach ihn mit den Händen in drei Stücke. Vor allem Amal liebte diese blutroten Körner. Wenn sie hineinbiss, troff ihr der rote Saft aus den Mundwinkeln. Dann nahm ich sie in den Arm und leckte ihr über die Wangen wie eine Katze. Ich liebte diese Freiheit. Keiner war da, der mich kritisierte, keiner, der mich vor vollendete Tatsachen stellte oder etwas von mir wollte, was ich nicht wollte. Als Abdullah einmal vorbeischaute, habe ich ihm den Vorschlag gemacht, er solle mich mit den Kindern in Tunesien lassen und uns Geld aus Deutschland schicken. Aber da hat er mich angeschrien, dass es meine Pflicht als Ehefrau sei, für ihn zu sorgen. Und ich dachte tatsächlich, er käme nicht ohne mich zurecht.
    Ein paar

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