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Loewenmutter

Loewenmutter

Titel: Loewenmutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esma Abdelhamid
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wenig um uns Kinder kümmerte, sah sie, dass es mir nicht gut ging. »Mein Mädchen, was bist du nur noch Haut und Knochen?«, flüsterte sie mir immer ins Ohr, wenn ich kam. »Abdullah sorgt nicht gut für dich. Ich habe es gleich gewusst, der Schweinehund, kein guter Ehemann.«
    Mein Vater hat mir nie in die Augen gesehen, genauso wenig wie ich ihm. Immer hielt ich demütig den Kopf gesenkt. Aber selbst wenn er gesehen hätte, wie es mir ging, hätte er nicht darüber gesprochen. Fehler zugeben konnte er nicht. Aber ich freute mich auf ihn. Mit dem räumlichen und zeitlichen Abstand verblassen schlechte Erinnerungen, und es bleiben die guten.
    Als Kind war ich überglücklich gewesen, wenn mich der Vater auf kleine Ausflüge mitgenommen hatte. Immer habe ich so lange mit Hundeblick an der Haustür gestanden, bis er mir einen Schubs gab: »Na, los geht’s.« Und ich rannte zum Auto, das er sich für besondere Fahrten geliehen hatte. Das war Abenteuer pur. Einmal im Frühjahr, zur Zeit der Schafschur, fuhren wir über die Dörfer. Ich sah Männer auf den Dorfplätzen, die Schafe scherten, verstand aber nicht, was sie machten, und fragte den Vater: »Warum rasiert man Schafe?« Da lachte er und erklärte mir, dass man die Wolle für die Mäntel der Männer, für die Kaschabias, brauche. So habe ich gelernt, dass Mäntel aus Schafwolle gefilzt sind.
    Abdullah kam eine Woche später. Typisch für ihn, ohne sich anzukündigen, hielt er vor dem großen Hoftor. Nicht zu übersehen, er fuhr das neueste Auto, einen dicken, dunklen Mercedes, und wirbelte Staub auf. Da kam mein Vater gelaufen, alle Nachbarn, der ganze Ort. So ein Auftritt. Nur ich beachtete meinen Mann nicht. Ich wollte nicht. Trotz war das Einzige, womit ich mich manchmal gegen ihn zur Wehr setzen konnte.
    Im Schneidersitz saß ich auf dem Teppich im Wohnzimmer und bürstete meine Haare. Die Frau meines großen Bruders, die Friseurin war, hatte sie mir mit einem heißen Eisen geglättet. Wie schön und glatt sie waren. Bei meiner Hochzeit vor zehn Jahren hatte das Haar bis ans Kinn gereicht. Wenn ich jetzt meinen Kopf ein wenig neigte, fiel es mir wie ein Schleier über Gesicht und Brust bis hinunter zu den Beinen. Ich hatte es mir nicht einmal schneiden lassen inzwischen, war nie in Hamburg beim Friseur gewesen. Mit der flachen Hand strich ich meine zehn Jahre alten Locken auf den Oberschenkeln glatt.
    Normalerweise trug ich sie zum Zopf geflochten. Manchmal hatte mich Abdullah daran durch die Wohnung gezogen, wie mein Vater die Mutter. Zehn Jahre waren vergangen, ohne dass ich es gemerkt hatte. Zehn Sommer und Winter. Was hatte ich getan in all dieser Zeit? Drei Kinder geboren – und sonst? Unglücklich bin ich geworden!
    Abdullah kam herein, grüßte kurz und fragte, ob ich etwas für die Kinder brauche. Ein Anstandsbesuch. Ich roch sein billiges Rasierwasser, widerlich, ich konnte ihn nicht riechen. Ohne aufzusehen, schüttelte ich den Kopf, sodass die Haare flogen. Dann sah ich hinüber auf die Kommode mit den ganzen Familienfotos: unsere Kinder brav frisiert, in blauen Matrosenanzügen, und unser Hochzeitsbild. Wie naiv ich aussah, so fahl im Gesicht, ich hob mich kaum vom Überzug des blassgelben Sessels ab. Abdullah hatte den Fernseher eingeschaltet und spielte nervös mit seinem Schlüsselbund. Das kannte ich schon: Er würde nicht lange bleiben. »Wollt ihr mitkommen ins Haus?«, fragte er. »Nein, nein, es geht uns gut hier.« – »Okay, dann werde ich in Ruhe an der Garage weiterbauen. Mörtel und Dreck sind sowieso nichts für euch.« Er war unruhig, tigerte durch die Wohnung, begrüßte die Kinder. Aber es dauerte nicht lange, und er machte sich wieder aus dem Staub. Ich war froh um jeden Tag ohne ihn.
    Auch wenn zu Hause wie so oft schlechte Stimmung herrschte. In den ersten Tagen, als wir aus Deutschland gekommen waren, hatten sich alle über mich und die Kinder gefreut. Aber dann verfiel die Familie schnell wieder in ihren dumpfen Trott. Die Mutter lag im Bett oder saß auf ihrem Stuhl in der Küche, die kleine Schwester vor dem Fernseher, der Vater war bei der Arbeit oder im Café. Gesprochen wurde wie immer nicht viel. Eisiges Schweigen lag diesmal in der Luft. Ein paar Wochen zuvor hatte der Vater meine große Schwester verflucht, weil sie sich scheiden lassen wollte: »Sie ist nicht mehr meine Tochter.« Und nun hatte sich auch noch meine jüngere Schwester, Bashma, in einen jungen Mann verliebt, der ihr Nachhilfe in Mathematik gegeben

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