Loewenmutter
Autohändler mit Wohnsitz in Dortmund ausfindig. Jeder kannte ihn. Er war der einzige Mensch in der Stadt, der einen roten Porsche fuhr. Vater lud ihn nach Hause zum Essen ein, erzählte ihm meine Geschichte, und der Geschäftsmann sagte sofort: »Geh zur Botschaft in Tunis, und schildere dort den Fall. Die werden einer Mutter, deren Kinder entführt worden sind, nicht die Einreise nach Deutschland verwehren. So herzlos ist dort keiner. Das wäre ja gelacht. Wenn dir einer helfen kann, dann die Botschaft.« Das war eigentlich naheliegend. Dass wir nicht selbst daran gedacht hatten …
Ich hatte Angst, doch mein Vater sagte: »Nimm deinen Pass und fahr nach Tunis. Du bist jetzt erwachsen und selbständig.« Noch am gleichen Tag bestellte er mir ein Sammeltaxi, und einen Tag später war ich tatsächlich auf dem Weg zur Botschaft. Zum ersten Mal alleine. Ein Regentag, das Land versank im gelbgrauen Morast aus Staub und Wasser. Aber ich hatte kaum Augen für die ebene Landschaft, in der sich die Straße ohne Kurven, Steigungen oder Neigungen kilometerweit schnurgerade wie ein mit dem Lineal gezeichneter Strich zog. Wie konnte man als Straßenbauer nur so gerade Straßen bauen? Irgendwo traf man doch immer auf Hindernisse, die umgangen oder weggeräumt werden mussten.
Ich war voller Hoffnung, fast übermütig. Endlich konnte ich etwas tun. Das Blut stieg mir in den Kopf, ich glühte, so wie ich als kleines Mädchen immer geglüht hatte, wenn ich mich vors Haus auf die Straße geschlichen hatte. Ich fühlte mich stark, weil ich wusste, was ich wollte.
Vor dem weißen Botschaftsgebäude standen zwei Wachleute, die Maschinengewehre geschultert, dazwischen eine lange Menschenschlange. Offensichtlich wollte halb Tunesien das Land verlassen. Sogar Algerier waren darunter, ich erkannte sie an ihrem Dialekt. Kommen die aus Algerien angereist, weil man hier in Tunesien leichter ein Visum für Deutschland bekommt? Haben die auch entführte Kinder im Ausland? Oder bin ich die Einzige? Ich musste lauthals über meine Gedanken lachen: O Allah, die Algerier holen sich nicht nur unsere Tomaten, sodass wir unser Couscous ohne rote Soße kochen müssen, jetzt holen sie sich auch noch unsere Visa. Wie absurd, dachte ich, während sich die Leute in der Schlange nach mir umdrehten. Meine gute Laune war ihnen nicht geheuer. Und wer hat sich meinen Mann geschnappt? – Naaa, wer wohl? – Ist doch logisch, eine Algerierin! Ich weiß nicht, wie lange ich nicht mehr so gelacht hatte.
Als ich an der Reihe war, es hatte ewig gedauert, ich war fast die Letzte, legte ich sofort los: »Meine Kinder wurden nach Deutschland entführt … « Gleich nahm mich der Beamte am Schalter zur Seite und schickte mich in einen separaten Raum. Er war kahl mit hellgrünen Resopaltischen, die ihre beste Zeit bereits hinter sich hatten. Während ich saß und wartete, spielte ich mit meinen Fingern an den angestoßenen Tischecken herum. Hatten die kein Geld für neue Möbel? Als ein Mann in Uniform eintrat, sprang ich sofort auf und redete wild drauflos. Gebrauchte alle deutschen Worte, die ich kannte.
»Langsam, langsam«, beruhigte mich der Beamte auf Tunesisch. Mir fiel ein Stein vom Herzen, weil er meine Muttersprache sprach. So konnte ich mir die ganze Geschichte viel leichter von der Seele reden, und ich erzählte alles, was passiert war, dass ich kein Visum habe, dass mein Mann alleine mit den Kindern in Deutschland sei und dass ich unbedingt zu ihnen fliegen wolle. Warum ich denn nicht sofort gekommen sei, fragte der Mann. Ich glaube, er hatte Mitleid mit mir. Ich schaute irgendwo Richtung Fenster: »Ich habe einfach nicht gewusst, was zu tun ist. Ich war verzweifelt, unsicher, unselbständig.« Dann aber fixierte ich ihn. Auf keinen Fall wollte ich jetzt schüchtern wirken. Vorbei! So etwas würde ich nie mehr mit mir machen lassen. Und wegschicken würde ich mich schon gleich gar nicht lassen. »Wenigstens vier Wochen, Sie müssen mir ein Visum für vier Wochen geben. Ich will meine Kinder sehen, das müssen Sie mir glauben.« Meine Geschichte schien Eindruck auf ihn zu machen. »Immer mit der Ruhe«, meinte er und legte seine Hand auf meinen Arm, »Sie bekommen mehr als einen Monat!«
Dann wollte er Adresse und Alter der Kinder wissen. Was mein Mann mache, ob wir verheiratet oder geschieden seien, alles Mögliche. Ich war vorbereitet, mein Vater hatte mir das Notwendigste auf einen Zettel geschrieben. »Lassen Sie Ihren Ausweis da«, sagte der Beamte
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