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Loewenmutter

Loewenmutter

Titel: Loewenmutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esma Abdelhamid
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Ich war auf Urlaub nach Tunesien gekommen und nicht darauf eingestellt zu bleiben. Die Regenzeit hatte eingesetzt, ich fror. Aber woher das Geld nehmen, um Amal und mir Kleider zu kaufen? Ich hing in der Luft. Sollte ich hierbleiben und einen Job suchen, den es nicht gab? Nicht für mich, denn ich hatte ja nichts gelernt. Nicht einmal lesen und schreiben konnte ich, um ein Formular auszufüllen. Keiner würde mich beschäftigen. Eine Frau, die von ihrem Mann verlassen wird, hat keine andere Wahl, als zu den Eltern zurückzukehren. Und sie hat Glück, wenn die Eltern sie dann nicht verstoßen.

    Eines Abends, wir saßen im Wohnzimmer vor dem Fernseher, fing der Vater unvermittelt wieder mit dem Thema an: »Esma, du musst um deine Kinder kämpfen. Du musst zurück nach Deutschland, zu deinen Söhnen, du gehörst zu ihnen. Oder hol sie hierher. Wenn du es willst, schaffst du das auch.« Ich goss ihm Tee ein, der so vertraut nach Minze roch, und wunderte mich. Woher dieser plötzliche Stimmungsumschwung? Nicht ein Tag war vergangen, an dem ich nicht daran gedacht hatte: Wenn mein Vater mich jetzt unterstützen würde, würde ich meine Kinder wiedersehen. Das wusste ich. Was aber, wenn er mich nur trösten wollte? Ich trank den süßen Tee, ich freute mich, wollte es mir aber nicht anmerken lassen. Fast beiläufig fragte ich: »Ohne Pass und Visum? Wie soll das gehen? Abdullah will mich nicht haben.« – »Dann soll er dir wenigstens deine Söhne überlassen und dir einen Unterhalt bezahlen. Dafür musst du kämpfen. Von hier aus kannst du das nicht, fahr nach Hamburg!« – »Und die Papiere? Ich brauche nicht nur einen Ausweis, sondern auch eine Einladung aus Deutschland, um ein Visum zu bekommen. Abdullah wird mich nicht einladen.« – »Wir werden einen Weg finden und einen neuen Pass beantragen. Ich wäre nicht dein Vater, wenn ich dir dabei nicht helfen würde.« Ich wusste nicht, ob ich ihm glauben sollte, dachte, lass ihn einfach reden.
    »Esma soll hierbleiben und die Kinder dem Vater lassen«, mischte sich da meine Mutter ein. Wir hatten sie nicht kommen hören. Plötzlich stand sie neben mir und legte mir ihre Hand auf die Schulter. »Abdullah trägt die Verantwortung. Esma soll hier ihr eigenes Leben leben.« Ich sah, wie die Lippen meines Vaters anfingen zu zittern, mit einem Ruck stellte er das Teeglas, das er zum Trinken angesetzt hatte, ab. Ich sprang auf, schüttelte wütend ihre Hand von meiner Schulter und blickte in ihr faltiges Gesicht. »Was soll das schon wieder? Wie kannst du nur im Ernst denken, dass ich meine Kinder ihrem Schicksal überlassen werde. Was bist du bloß für eine Mutter?«, fauchte ich sie an. Ihre Gleichgültigkeit konnte sie doch nicht auf mich übertragen. Aber sie ließ sich nicht von meiner heftigen Reaktion beeindrucken, schüttelte ihren verhüllten Kopf, deutete auf den Vater und presste ihre Lippen zu einem Strich zusammen. Was hätte sie dafür gegeben, ihren Mann loszuwerden? In ihren Augen hatte ich Glück: Der Schläger war gegangen und hatte mich freigegeben. Das war doch das Beste, was mir hatte passieren können. Sie selbst war dem Mann ausgeliefert, abhängig, krank und seit über 30 Jahren gefangen. »Halte du dich da raus, die Kinder gehören zur Mutter, nirgendwohin sonst«, herrschte der Vater sie an.
    Ich stellte den Fernseher ab. Der Vater hatte recht. Ich musste nach Deutschland zurück. Nur dort konnte ich etwas für uns erreichen. Ich wollte meine Kinder spüren, riechen, sehen. Lieber heute als morgen. Nicht einmal anrufen durfte ich und hatte keine Ahnung, wie es ihnen ging.

    Amal war inzwischen fünfeinhalb Jahre alt und schulpflichtig. Ich wollte sie einschulen, egal ob wir nach Deutschland zurückkehrten oder nicht. Der Gedanke tröstete mich. So konnte ich wenigstens etwas tun, während ich wartete. Meine Tochter sollte alles lernen, was ich selbst nicht gelernt hatte. Damit sie später selbständig durchs Leben gehen würde. Unabhängig von jedem Mann und frei.
    Aber ich hatte nichts, kein Geld, keine Kleidung, keine Schulsachen. Mein Vater musste mir helfen und mit uns einkaufen gehen. Er ließ sich nicht lange bitten. Wann immer es um seine Enkelkinder ging, war er großzügig. Es schmerzte ihn, dass wir Amin und Jasin so einfach verloren hatten. Wir gingen auf den Markt in der Stadt, wo die Händler ihre stinkenden Pick-ups vor den Markthallen stehen haben. Ein wogendes Meer aus bunten Tüchern, Früchten, Gewürzen und Gegenständen.

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