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Loewenmutter

Loewenmutter

Titel: Loewenmutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esma Abdelhamid
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weiter. »Ich werde heute noch in Deutschland anrufen und Ihre Angaben prüfen. Wenn alles in Ordnung ist, können Sie morgen Ihr Visum abholen. Ist das okay?«
    Was? So einfach? Und dafür habe ich so lange gewartet? Ich hatte geglaubt, es gäbe keinen Weg zurück nach Deutschland, und nun sagte er mir, dass ein einziges Telefonat genügte, um von hier wegzukommen. Am liebsten wäre ich ihm um den Hals gefallen. Als ich aus der Botschaft kam, tanzte und lachte ich. Es regnete immer noch, aber ich lief ohne Schirm. Einfach geradeaus, mitten in die Stadt hinein bis zum Bazar, wo ich für meine Kinder orientalische Schuhe kaufte.
    »Viel Glück damit«, wünschte der Beamte, als er mir am nächsten Tag das Besuchervisum aushändigte. »Drei Monate, reicht das? Ich hoffe, dass Sie in dieser Zeit eine neue Aufenthaltsbewilligung bekommen.« Ich schwebte vor Glück, plötzlich war alles ganz einfach. Ich wusste, ich würde es schaffen. Endlich. So glücklich war ich selten gewesen. Ich hatte einen Pass und ein Visum, das Wertvollste, was ich je in Händen gehalten hatte.
    Ich ging auf einen umzäunten Park zu. Vor dem Tor saß ein Mann. Schon von weitem rief ich ihm zu: »Können Sie mir helfen?« – »Wobei?«, fragte er, ohne von seinem Kohleofen aufzublicken, auf dem er in einem alten Blechkännchen Tee kochte. Er war schmächtig, ein kleiner Kopf auf einer mächtigen Kaschabia, zwei große Hände, Gummistiefel, so saß er auf seinem Hocker über das Feuer gebeugt. »Wenn ich deine Tochter wäre?«, fragte ich, »würdest du mich dann in diesen wunderschönen Park gehen lassen?« Er zögerte einen Moment, wiegte stumm den Kopf, »eigentlich nicht«, sagte er dann. »Ein junges Mädchen spaziert nicht mitten in der Woche alleine durch den Park. Normalerweise kommen Familien am Sonntag, um hier zu picknicken, keine einsamen Mädchen.« Er erhob sich, er war bestimmt einen Kopf kleiner als ich. »Du bist nicht von hier, das erkenne ich an deinem Dialekt. Was machst du hier?« – »Ich habe einen schweren Weg hinter mir und möchte heute noch nach Hause. Ich will mich nur einen kurzen Moment ausruhen.« Ohne etwas darauf zu entgegnen, öffnete er den einen Flügel des Eisentores für mich: »Geh und such dir einen schönen Platz, aber verirre dich nicht«, sagte er. »Danke, Väterchen.« Mit diesen Worten war ich schon weg, sog die kühle, feuchte Frühlingsluft ein und rannte eine kurze Strecke. »Ich darf zu meinen Kindern«, rief ich den Vögeln zu, die durch die Luft schwirrten und sich im nächsten Moment in Wasserpfützen am Wegrand aufplusterten. Dann setzte ich mich auf eine Bank. Erst als ich die Feuchtigkeit des Holzes durch meine Kleider spürte, erhob ich mich und ging zurück.
    Zu Hause verkaufte der Vater ein paar Tage später einige Schmuckstücke meiner Mutter, um genug Geld für mein Flugticket zu haben. Die Mutter schimpfte, aber das beachtete ich nicht. Dass es ihr schwerfallen würde, sich von ihrer goldenen Kette, einem Erbstück ihrer verstorbenen Schwester, zu trennen, kam mir gar nicht in den Sinn. Wenn nur Amal nicht so totunglücklich gewesen wäre! Sie tat mir leid. Ich hatte ihr geschworen, sie nie wieder alleine zu lassen, und jetzt musste ich. Aber ich konnte sie nicht mitnehmen, weil Abdullah ihre Papiere an jenem denkwürdigen Nachmittag an sich genommen und eingesteckt hatte. Selbst wenn ich gewollte hätte, ohne die Unterschrift des leiblichen Vaters konnte ich keinen neuen Pass für sie beantragen. Es war so schlimm: Ich musste meine Tochter zurücklassen, um meine Söhne zu sehen.
    An dem Morgen, als ich abreiste, ging Amal nicht zur Schule. Sie wollte mich nicht fahren lassen, klammerte sich an mich, schrie und tobte. Doch ich habe mich losgerissen und bin gegangen. Ohne mich noch einmal umzudrehen. Mit einem Gefühl, als würde es mich zerreißen. Amals Schreien und Weinen begleiteten mich den ganzen langen Weg vom Hoftor bis hinunter bis zur Wegbiegung.

Wieder in Hamburg
    Der Abend war lau – einer von den Vorfrühlingsabenden, wie ich sie in Deutschland so liebe –, als ich mit dem Flieger in Fuhlsbüttel landete. Nicht heiß oder kalt wie in Tunesien, sondern prickelnd. Keiner wusste, dass ich zurückkommen würde. Zwiegespalten zwischen Furcht und Freude ging ich durch die Flughafenhalle, die Hände schwitzig, heiß das Gesicht. Ich erinnerte mich genau, wie ich hier ein halbes Jahr vorher zum ersten Mal gestanden hatte, unsicher, an jeder Hand ein Kind. Jetzt war ich alleine

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