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Loewenstern

Loewenstern

Titel: Loewenstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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Sie deutete auf den Fußboden.
    Hier gibt es Bären? fragte ich.
    Seit das Stift aufgelassen wurde, ist es Bärengebiet, wie Kamtschatka.
    Ist die Stadt darum so menschenleer?
    Wir werden noch erleben, wie sie sich bevölkert. In der Gryllenburg probiert ein Dichter seine Stücke, bevor sie in der Hauptstadt zur Aufführung kommen. Wollten Sie nicht selbst zum Theater?
    Wie kommen Sie darauf?
    Sie wünschten, Resanow auf der Bühne zu erwürgen.
    Ach, das war nur eine Farce, sagte ich. Ich blieb stecken, als ich für Resanow etwas wie Teilnahme empfand, wider Willen. Auf der
Nadeschda
habe ich keinen Menschen so gehaßt, nicht einmal Tolstoi. Aber eigentlich war er doch nur ein Narr, und nun ist er tot.
    Mir waren unerwartet die Augen naß geworden.
    Als Liebhaber war er ganz ordentlich, sagte sie. – Andere zierten sich, wenn sie aus der Südsee kamen. Sie hatten wahllos Geschlechtsverkehr gehabt, und hinterher plagte sie die Angst, angesteckt zu sein. Es gab ein Gerücht, daß man sich bei Nadja gesundstoßen könne. Vielleicht war das Gegenteil richtig.
    Als sie mein Gesicht sah, sagte sie: Wie durfte ich damit rechnen, Ihnen noch einmal unter die Augen zu treten?
    Ich habe Sie damals nicht bezahlt, sagte ich.
    Nicht möglich, erwiderte sie jetzt, ohne zu lächeln. – Dann fand Nadja wohl einen andern Weg, sich schadlos zu halten.
    War der Schaden so groß?
    Keine Sorge, Kleiner, sagte sie vulgär, und fuhr mit gewöhnlicher Stimme fort: Ich habe einen Professor gekannt, der fragte nach jedem Vortrag: Wie war ich?
    Wie war ich, Nadja?
    Diese Frage beantworte ich auch nicht, wenn sie sich erübrigt. Aber ich weiß, von wem ich ein Kind habe.
    Einen Jungen oder ein Mädchen?
    Bei mir gibt es nur Mädchen, Ermolai. Aber jetzt essen Sie, und dann müssen Sie schlafen. Und schön ausgeruht in Ihren Garten. Dort störe ich Sie nicht. Dafür forschen Sie niemals, woher ich komme und wo ich hingehe. Sonst sehen Sie mich nicht wieder.
    Als ich erschrak, fügte sie hinzu: In diesem Raum stehe ich zur Verfügung, Monsieur. Es kostet Sie nichts. Diese Anmerkung war doch wohl eher meine Sache. Aber Nadja kennt mich noch nicht. Soviel haben wir schon gemeinsam.
    4 Die kleine Wüste ist der Ort, wo ich etwas bewegen kann. Ich habe angefangen, die Brocken zu sortieren. Viele Stücke waren mit Mörtelresten besetzt, die ich sorgfältig abschlug. Im Korridor gibt es ein leeres Kleiderkabinett, hinter dem ich eine Verbindung meiner Räume zum übrigen Gebäude vermute, aber in seinem Fuß fand ich nur einen verstaubten Werkzeugkasten. Was ich brauchen konnte, Axt, Hämmer, Stechbeitel, verjüngte sich gewissermaßen durch täglichen Gebrauch, die Meißel begannen, wieder zu glänzen. Was ich abschlug, verband sich mit dem Erdboden, den ich mühsam freilegte. Denn zum Schaufeln hatte ich nur die bloßen Hände, und anfangs sah es so aus, als grübe ich mir selbst eine Grube zwischen immer noch wachsenden Wänden.
    Aber ich habe die Trümmer nach Art und Größe sortiert. Aus Stücken mit regelmäßigen Oberflächen baute ich ein Podest und festigte es mit Mörtel, den ich aus abgeschlagenem Gips mit Wasser anrührte. Da ich die kurze Treppe eingemauert habe, gelangeich jetzt aus dem Baderaum fast ebenerdig an den Rand meiner Baugrube, deren Füllung Tag für Tag fortschreitet. Sie gleicht immer mehr einer archäologischen Fundstätte, nur daß ich keine Struktur freilegen, sondern erst eine herstellen muß. Die markanten Kennzeichen grabe ich ein, nicht aus. Bretter, Stangen, Lumpen und Metallteile, die beim Wühlen im Grund zutage treten, sammle ich zu einem Müllhaufen, und er beginnt allmählich einem Wrack zu gleichen, das am Rand einer versteinerten See liegengeblieben ist.
    Immer wieder kommt es vor, daß ich einen Brocken, der Effekt zu machen verspricht, wieder verschwinden lasse, denn je länger ich in meinem Garten arbeite, desto deutlicher wird mir, wie er
nicht
aussehen soll. Was ich in meiner kleinen Freiheit baue, springt immer weniger ins Auge – die Splitter abgerechnet, als ich so lange an einem Fels meißelte, bis er barst und die Form einer weiblichen Brust aufschloß. Ich legte sie beiseite, für anderen Gebrauch, oder keinen.
    Im Garten steht meine Geschichte still, Exzellenz, in der Klausur soll mir eine neue verpaßt werden – nach Maßgabe zweier Zungen, doch sie werden nicht nur für Reden gebraucht. In Petropawlowsk habe ich mit einer edelblassen, hochfahrenden Person getanzt, die ihr schwarzes, scharf

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