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Loewinnenherz

Loewinnenherz

Titel: Loewinnenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Senguel Obinger
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„Bald habt ihr auch so eines!“
    Ich zucke auf meinem Stuhl zusammen, als hätte sie mich geschlagen. Nein, denke ich verzweifelt, das darf nicht sein, ich will kein Kind von diesem Mann dort auf dem Sofa. Er ist mir jetzt schon zuwider. Am Blick meiner Mutter aber kann ich auch ablesen, dass alles Sträuben vergeblich sein wird. Es ist beschlossene Sache, Vertrag ist Vertrag. Und von diesem hier gibt es kein Rücktrittsrecht. Ihre Versprechungen, ich könnte mich frei entscheiden, ob ich Refiks Frau werden wollte, sobald ich ihn kennengelernt hätte, waren nichts als Sand, den sie mir in die Augen gestreut hatte. Ich versuche, meinen magischen Traum hervorzurufen, den Traum, in dem ich ein Leben führe wie jene Anwältin. Doch hier in der Wohnküche meiner Eltern will es mir einfach nicht gelingen. So, denke ich, muss sich eine zum Tode Verurteilte fühlen.
    Als mein Vater nach Hause kommt, begrüßt er Refik herzlich. Für mich hat er keine Augen. Dafür gibt mir meine Mutter ein herrisches Zeichen, dass es Zeit ist, das Essen zu servieren. Ich stehe auf wie eine ferngesteuerte Puppe und decke rasch den Tisch, trage Hähnchen und Reis auf. Ich kann seine Blicke auf mir fühlen, und sie sind mir unangenehm. Er beobachtet mich. Wahrscheinlich will er herausfinden, wie es um meine hausfraulichen Qualitäten bestellt ist. Ich glaube, seine Gedanken lesen zu können. „Aha“, denkt er jetzt sicher, „wenn sie das gekocht hat, dann ist sie schon mal eine gute Hausfrau.“

    |50| Im Oktober 1991 mit meiner kleinen Nichte
    „Klar“, denke ich resigniert und wie als Antwort darauf. „Was hast du denn gedacht? Darauf wurde ich schließlich dressiert.“
    Während des Essens finde ich Trost in meiner „genialen“ Idee, die mich während der vergangenen Wochen am Leben erhalten hat. Ich werde ihn nur heiraten, um mich dann wieder scheiden zu lassen. Ich muss herausfinden, überlege ich, wie schnell das möglich ist. Da bemerke ich, dass mich nicht nur der von mir so wenig willkommene Gast, sondern auch meine Mutter beobachtet. Kann auch sie meine Gedanken lesen? Es |51| scheint fast so, denn ihr starrer Blick maßregelt mich und scheint zu sagen: „Wage es ja nicht, etwas Falsches zu machen. Das würdest du bitter bereuen.“
    All diese unausgesprochenen Gedanken lasten auf unserem Küchentisch und machen mir das Herz schwer. Mein Vater stellt Refik Fragen, auf die der in seiner langsamen und bedächtigen Art antwortet. Ansonsten essen wir schweigend, ich bringe kaum einen Bissen hinunter. Dann kocht meine Mutter Tee, während Gülay und ich das Geschirr abräumen.
    Ich nutze die kleine Pause, flüchte auf die Toilette und setze mich erschöpft und verzweifelt auf den geschlossenen Klodeckel. Was muss ich jetzt als Nächstes tun? Mit ihm in Kontakt treten, hat meine Mutter gesagt. Aber wie? Was soll ich bloß sagen? Man hatte mir keine Gebrauchsanweisung dafür gegeben, wie man sich in den ersten Stunden vor einer Zwangsehe zu verhalten hat. Gibt es wirklich keinen Ausweg? Während ich mir noch den Kopf zerbreche, pocht es energisch an der Tür. Ich öffne. Meine Mutter steht vor mir, die Fäuste in die Hüften gestemmt.
    „Was treibst du denn hier?“, blafft sie mich an. „Du bist seit einer halben Stunde auf dem Klo!“
    „Mir ist schlecht“, sage ich, und das ist nicht einmal gelogen. „Kann ich mich ein bisschen hinlegen?“ Meine Stimme klingt kläglich. Doch meine Mutter scheint mich gar nicht zu hören.
    „Du kommst jetzt sofort wieder mit rein“, kommandiert sie und zerrt mich am Arm aus der Toilette. Wieder in der Küche setze ich mich auf den Stuhl, der am weitesten weg ist von ihm. Meine Hände umklammern ein Teeglas. Ich schlage die Augen nieder und starre auf den Fußboden. Und gehe hinüber in meine andere Welt. Dort bin ich dreißig Jahre alt und lasse an diesem ersten Frühlingstag meinen Aktenkoffer aus feinstem Leder im Kofferraum meines eleganten, schwarzen Wagens. Heute gehe ich einkaufen, denn ich brauche eine neue Bluse, die zu meinem Hosenanzug passt. Soll ich feine Baumwolle wählen oder lieber Seide? Ich fühle den kühlen Stoff, wie er meinen Körper |52| umschmeichelt. Nun noch Schuhe. Wie wäre es mit diesem wunderbaren Paar Sandaletten …
    Jemand rüttelt mich an den Schultern. Es ist meine Mutter.
    „Schenk Refik Tee nach, los mach schon!“, befiehlt sie mir.
    Und wieder werde ich zurückkatapultiert in die beängstigende Gegenwart. Während ich die Teekanne nehme, höre ich

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