Loewinnenherz
nicht zu. Wir brennen durch. Ich heirate dich, hörst du, und sorge für dich, du brauchst keine bescheuerte anatolische Familie und keinen türkischen Ehemann, den du gar nicht kennst, du hast mich und ich lasse nicht zu, dass man dich gegen deinen Willen verheiratet.“
„Mach es mir bitte nicht so schwer.“ Die Sache droht aus dem Ruder zu laufen. Obwohl ich heulen könnte wie ein Schlosshund, denn ich bin tatsächlich sehr verliebt in Udo, oder vielleicht gerade deswegen, ändere ich nun meinen Ton und schreie ihn an: „Meine Eltern wissen, was gut für mich ist, da ist nichts zu machen, verstehst du, mit uns beiden ist es aus und vorbei.“
Und damit ließ ich ihn stehen.
|55| Nach und nach sprachen mich meine anderen Arbeitskollegen auf meine nahende Hochzeit an.
„Stimmt es“, versuchte es die eine vorsichtig, „was Udo erzählt? Du heiratest einen Türken, den du kaum kennst? Wieso machst du das?“
Was immer ich darauf antwortete, meine Freunde überzeugte es nicht. Und ich fühlte ich mich wie ein kleines Weizenkorn, das zwischen zwei Mühlsteinen zermahlen wird: auf der einen Seite meine Mutter und die schreckliche Anwesenheit von Refik, meine ganze Familie, die von mir weiß Gott was erwartete, und auf der anderen Seite meine Freunde, die auf mich einredeten wie auf ein krankes Pferd, dass ich bloß keinen solchen Unsinn machen sollte. Aber was ich tatsächlich tun könnte, um dieses Schicksal von mir abzuwenden, das konnten sie mir nicht sagen.
„Das musst du doch nicht machen“, sagten sie immer wieder. „Keiner kann dich zwingen.“
„Meine Mutter schon.“
„Aber wie? Was will sie machen, wenn du einfach Nein sagst?“
Hätte ich ihnen vielleicht sagen sollen, was dann alles passieren könnte? Dass man mich höchstwahrscheinlich in ein Auto gepackt hätte und in die Türkei verfrachtet, wo ich ohne große Umstände sofort verheiratet worden wäre und Deutschland mein Leben lang nicht wiedergesehen hätte? Dass andere junge Mädchen, die sich standhaft weigerten, von ihren Familien so lange durchgeprügelt wurden, bis sie ihren Widerstand aufgaben? Dass mich mein Vater im Falle einer Flucht bis an sein Lebensende gesucht hätte und es keinen Winkel auf dieser Erde gab, in dem er mich nicht gefunden hätte, um mich für meine schändliche Tat zu richten? Denn eine junge Frau, die sich von ihrer Familie abwendet, ist das Schlimmste, was man in unserer Kultur einer Frau nachsagen kann: eine Hure, die Schande über die ganze Familie gebracht hat.
Es gab keinen Ausweg. Ich musste schlau sein, das war meine einzige Hoffnung. Ich würde diesen Refik heiraten, um mich |56| dann so bald wie möglich wieder von ihm scheiden zu lassen. Irgendwie hatte ich die Vorstellung, dass eine Scheidung für meine Eltern, und auch für Refik, weniger problematisch sein würde, als meine Weigerung ihn zu heiraten. Dann hatten wir es ja wenigstens probiert. Vielleicht sah er dann ja auch von selbst ein, dass wir nicht zusammenpassten. Und wenn wir beide die Scheidung wollten, konnte uns niemand mehr zur Ehe zwingen, auch meine Eltern nicht. Damals glaubte ich tatsächlich an diesen „genialen Plan“. Ich war gerade mal achtzehn Jahre alt, verzweifelt und allein. Es gab niemanden, mit dem ich mich beraten konnte oder dem ich mein Herz ausschütten konnte. Meine deutschen Freunde, so lieb ich sie hatte und so sehr ich auch ihre guten Absichten verstand, waren mir keine Hilfe. Sie konnten nicht verstehen, was in unserer Familie selbstverständlich war. Und ich konnte nicht zur Verräterin an meiner Familie werden, indem ich ihnen all diese Abgründe offenbarte. Und darum spielte ich ihnen lieber eine unbeschwerte und zufriedene Şengül vor, der es gar nichts ausmachte, diesen Refik zu heiraten.
Und Refik blieb. Während wir unserer Arbeit nachgingen, saß er bei uns zu Hause auf dem Sofa und schmeichelte sich bei meiner Mutter ein. In der Türkei hatte er in einem Hotel gearbeitet, aber das war in Deutschland natürlich nicht möglich. Mein Vater sprach davon, ihm eine Stelle beim Bau zu vermitteln, bei seinem Arbeitgeber. Besonders glücklich schien Refik darüber nicht. Ohne Deutschkenntnisse blieb ihm aber nichts anderes übrig. Leider machte er keine Anstalten, wieder zu verschwinden. Stattdessen half er meiner Mutter im Garten, und wenn ich von der Arbeit nach Hause kam, zeigte sie mir voller Begeisterung, was er alles getan hatte.
Während dieser Wochen suchte er immer mehr meine Nähe. Ich fand
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