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Loewinnenherz

Loewinnenherz

Titel: Loewinnenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Senguel Obinger
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Und mein anatolisches Erbe in Gestalt meines Mannes, dem Mord und Totschlag ins Gesicht geschrieben standen. Hinter mir im Besprechungsraum saß der Steuerprüfer, und vor mir stand Refik, der mir auf Türkisch befahl, vor das Haus zu kommen, er habe mit mir zu reden. Wenn ich nicht mitkäme, werde er hier alles in Stücke hauen. Mir lief es kalt den Rücken runter bei der Vorstellung, dieser brutale Kerl würde hier vor den Augen meines Chefs mein neues Leben kurz und klein schlagen.
    „Ich gehe kurz mit ihm vor die Tür“, sagte ich zu meinem Chef.
    Er blickte mich skeptisch an. „Wenn du mich fragst, Şengül“, sagte er, „dann ist das keine gute Idee. Sprich hier mit ihm. Geh nicht allein mit ihm raus.“
    „Doch“, sagte ich, immer noch bemüht, meine zwei Welten auseinanderzuhalten, „ich bin gleich wieder da.“
    Und folgte Refik auf die Straße.
    Was ich damals nicht wusste, was mir aber das Leben rettete, war, dass mein Chef eine meiner Kolleginnen bat, Refik und mich vom Fenster aus im Auge zu behalten. Er selbst stellte sich an die Treppe, bereit, beim kleinsten Signal meiner Kollegin mir zur Hilfe zu eilen. Und tatsächlich, kaum stand ich mit Refik vor dem Haus, schlug er mir mit einem einzigen harten Faustschlag mitten ins Gesicht und auf die Nase. Ich stürzte zu Boden, war benommen und konnte nicht mehr aufstehen. Mein |119| Gesicht und meine Bluse, alles war voller Blut, und mein erster Gedanke war: „Scheiße! Jetzt ist die schöne Nase wieder hin!“, was aber zum Glück nicht der Fall war. Dafür erlitt ich eine schwere Gehirnerschütterung. Refik nützte meine Benommenheit aus, um brutal nach mir zu treten. Doch schon im nächsten Augenblick kam mein Chef angerannt, und mit einer Kraft und Behändigkeit, die ich ihm überhaupt nicht zugetraut hätte, umfasste er Refik mit beiden Armen von hinten, zwängte ihm seine Arme um den Leib, und hielt ihn festumklammert. Ein weiterer Kollege aus der Kanzlei kam ihm zur Hilfe und hielt den sich wie rasend wehrenden Refik von vorne fest; sogar zu zweit konnten sie ihn kaum halten. Aus der benachbarten Apotheke trat der Besitzer heraus, und fragte:
    „Was ist denn hier los?“
    Mein Chef schrie ihm entgegen: „Los, rufen Sie die Polizei!“
    „Ja, aber …“
    „Wenn Sie nicht auf der Stelle die Polizei rufen“, brüllte mein Chef, der alle Mühe hatte, den um sich schlagenden Refik im Griff zu halten, „dann zeige ich Sie wegen unterlassener Hilfeleistung an!“
    Das wirkte. Und kurze Zeit später war die Polizei zur Stelle. Ich wurde ins Krankenhaus gebracht, wo ich drei Tage lang bleiben musste. Refik wurde verhört und dann wieder freigelassen. Noch am selben Abend setzte er sich ins Auto und fuhr zu seiner Familie in die Türkei.
    Acht Schüsse, die mein Leben verändern
    In den folgenden Tagen erhielten wir mehrere Anrufe aus der Heimat meiner Eltern. „Das Mädchen soll aufpassen“, sagte man uns. „Er ist mit einer Waffe unterwegs nach Deutschland.“
    „Mit einer Waffe?“
    „Ja. Er hat seiner Familie erzählt, eure Tochter sei eine Schlampe. Da hat sein Vater beschlossen, dass sie sterben muss. |120| Sein Cousin, der das Familienoberhaupt ist, hat ihm die Waffe in die Hand gedrückt. Jetzt ist er wieder unterwegs nach Deutschland.“
    „Wann ist er losgefahren?“
    „Das wissen wir nicht genau. Sag dem Mädchen, sie soll aufpassen.“
    Das Mädchen. Also wagten sie schon nicht mehr, meinen Namen auszusprechen.
    „Du hast Schande über uns gebracht“, jammerte meine Mutter.
    „Nein“, sagte ich, „er ist die Schande. Er ist der Wahnsinnige, der ein kleines Kind schlägt.“
    Doch es hatte keinen Zweck. Ich war im Haus meiner Eltern nicht willkommen. In den Augen meiner Mutter hatte ich versagt und machte nur Ärger. Aber selbst ihr ging es gegen den Strich, dass Refik augenscheinlich unterwegs war, um jemanden aus ihrer Familie zu erschießen. Ich wusste, sie würden mich nicht an ihn ausliefern.
    Ich war noch immer krankgeschrieben. Und schwor mir, dass ich mich nie wieder von irgendeinem Mann würde schlagen lassen. Nie wieder. Ich stellte mir vor, wie Refik jetzt gerade auf der dreitägigen Autofahrt von Ankara nach Deutschland unterwegs war. In seinem Gepäck eine Waffe, mit der er mich töten würde.
    Am nächsten Tag sah einer meiner Brüder Refiks Wagen, der in der Nähe unserer Wohnung geparkt war. Er war also zurückgekehrt. Mein Vater sollte eigentlich erst am darauffolgenden Tag aus dem Krankenhaus entlassen

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