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Loewinnenherz

Loewinnenherz

Titel: Loewinnenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Senguel Obinger
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werden. Als er von Refiks Rückkehr erfuhr, kam er früher nach Hause. Er wollte da sein, wenn sein Schwiegersohn mit der Waffe kam, um seine Tochter zu erschießen. Da konnte er unmöglich krank im Bett liegen bleiben.
    Noch am selben Abend rief Refik meinen älteren Bruder an.
    „Yusuf“, sagte er, „ich habe mir viele Gedanken gemacht. Ich liebe deine Schwester. Wie wäre es, wenn wir uns wie vernünftige |121| Menschen zusammensetzen und über alles in Ruhe reden? Ich möchte, dass du und Şengül zu uns in die Wohnung kommt. Und sie soll Berna mitbringen.“
    „Du“, sagte mein Bruder zu mir, „der klingt so anders. Ich glaube, der zeigt wirklich Reue. Vielleicht sollten wir ihm nochmal eine Chance geben?“
    „Niemals“, sagte ich fest und entschlossen, „ich will das Gesicht dieses Mannes nie wieder sehen. Das ist nur ein Trick. Und dann erschießt er uns alle. Erst dich. Dann Berna. Weil er weiß, wie weh mir das tun wird. Und am Ende mich. Reue? Dazu ist der gar nicht fähig.“
    Als mein Bruder Refik anrief, und ihm sagte, dass ich meine Entscheidung getroffen hätte, wurde er aufs Übelste beschimpft. „Ich bring euch alle um“, schrie er. Mein Bruder legte auf.
    In meiner Not ging ich zur Polizei. Versuchte zu erklären, was passiert war und was bald passieren würde. Im Gesicht der Beamtin las ich pures Unverständnis.
    „Er soll also eine Waffe haben?“, fragte sie skeptisch. „Haben Sie die gesehen?“
    „Nein“, sagte ich, „aber andere. Und die haben mich gewarnt. Er will mich umbringen. Er hat es selbst gesagt. Bitte helfen Sie mir.“
    „Ja, was sollen wir denn da tun?“, fragte die Beamtin genervt. „Kaufen Sie sich Pfefferspray. Bleiben Sie im Haus. Und wenn etwas passieren sollte, dann rufen Sie uns an.“
    Es war zwecklos, dieser Frau meine Lage zu erklären. Und dass es für mich durchaus zu spät sein konnte, sollte „etwas passieren“.
    Dennoch fühlte ich zum ersten Mal seit vielen Jahren eine unglaubliche Kraft in mir. Ich wusste, in Kürze würde sich alles entscheiden. Jetzt oder nie, sagte ich mir, und wenn es dein Tod ist. Und wenn es am Ende meine Familie ist, die mich umbringt. Aber um nichts in der Welt gehe ich zurück zu diesem Mann.
    Als ich von der Polizei nach Hause kam, war es gegen halb vier Uhr Nachmittag.
    |122| „Die Kanzlei hat angerufen“, sagte meine Mutter. „Du sollst dich bei ihnen melden.“
    Ich ging ins Haus. Und obwohl im Erdgeschoss und im ersten Stock je ein Telefon war, ging ich, ohne zu wissen warum, wie ferngesteuert in den ersten Stock. „Ich muss vom roten Telefon aus anrufen“, sagte eine Stimme in meinem Kopf. Und das rote Telefon befand sich ganz oben am Ende der Treppe hinter einer Glastür. Ich weiß nicht, warum es mir auf einmal so wichtig war, ausgerechnet von diesem Telefon aus anzurufen, denn eigentlich benutzte ich immer das Telefon im Erdgeschoss, direkt neben dem Hauseingang.
    Es war ein herrlicher Sommertag, der 7. August 1997, die Türen zum Garten standen weit offen, und obwohl sich alle den ganzen Tag lang draußen aufgehalten hatten, kamen sie nach und nach hoch in das oberste Stockwerk, während ich telefonierte: meine Mutter mit Berna und meinem Neffen und sogar mein Vater. Er ging auf die Toilette, während meine Mutter im Gang zum Wohnzimmer stand, wo sie sowohl die Kinder als auch mich im Blick hatte. Und dann geschah es.
    Ich hörte das Quietschen von Bremsen, legte den Hörer auf, und wusste: Jetzt passiert etwas. Und auch wenn sich das, was dann folgte, innerhalb weniger Sekunden abspielte, erlebte ich alles wie in Zeitlupe.
    Das Knallen einer Tür. Ich stand auf, konnte mich aber nicht wegbewegen. Ich starrte nach unten, durch die offenstehende Glastür die Treppe hinab. Und da kam er. Zuerst hörte ich einen Schuss weiter unten auf der Treppe. Er hatte auf meine Schwägerin geschossen, die sich im richtigen Moment wegdrehte. Meine sechsjährige Nichte blickte dem Eindringling nach diesem ersten Schuss für einen winzigen Augenblick direkt in die Augen, drehte sich dann blitzschnell um und lief hinters Haus, um sich dort zu verstecken. Das rettete ihr vielleicht das Leben. Denn Refik wandte sich ab und ging einige Schritte weiter die Treppe hinauf. Ich sah seinen Rumpf, die Schultern und den erhobenen Arm. Sein Gesicht sah ich nicht. Er hielt eine |123| Pistole in der Hand und zielte auf mich, keine drei Meter von mir entfernt.
    Beim ersten Knall dachte ich noch an Schreckschüsse. Meine Mutter, die

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