Loewinnenherz
dass du stirbst. Aber jetzt ist er gestorben, und das ist richtig so, denn er war böse.“
Ich drückte mein Kind ganz fest an mich und fragte mich bang, was in ihrer vierjährigen Seele alles so vor sich ging. Aber Berna war noch nicht fertig.
„Gell, Mama“, fing sie wieder an, „wir haben jetzt keine Wohnung mehr.“
Da holte ich tief Luft, schluckte meine Tränen hinunter und sagte: „Nein, Berna, im Moment haben wir keine Wohnung. Aber ich verspreche dir, die Mama wird für uns bald die schönste Wohnung finden, die es gibt.“
In dieser Nacht, während Berna endlich schlief, legte ich mir einen Plan zurecht. Ich überlegte mir, was ich Schritt für Schritt zu tun hatte. Ich musste zum Arbeitgeber meines Mannes gehen, zur Witwenkasse, die Rente beantragen. Zum Sozialamt. Meine Tochter hatte mich durch ihre Fragen aus meiner Schreckstarre herausgeholt, und das war gut so.
Drei Wochen später hatte ich eine Wohnung für uns gefunden. Das Sozialamt bezahlte die Kaution, mehr nicht. Sie war klein und hatte eine kanariengelbe, hässliche Küche, und außer einem Schlafsofa und einem Teppich hatten wir anfangs nichts, doch für uns war es das Himmelreich. Es war ganz allein unsere Wohnung. Und während Berna nachts schlief, saß ich oft einfach so da, sah an die Decke, und atmete tief und erleichtert durch. Hier würde niemand hereinplatzen und unsere Ruhe stören. Refik würde nie mehr kommen. Nie mehr würde er oder ein anderer uns schlagen. Ich war frei. Zum ersten Mal in meinem Leben war ich wirklich frei.
Ich dachte an meinen Traum mit dem alten Mann, der gesagt hatte, er würde mich retten, wenn ich ihm meine Geduld beweisen würde. Und an Fatima im Frauenhaus, die mir vor einem halben Jahr prophezeit hatte, mein Mann werde sterben. Was hatte sie noch gesagt? Dass ich Erfolg haben und sehr glücklich |127| sein würde. War ich glücklich? Wie fühlte sich das an? Es gab noch so viele Hindernisse, die sich vor mir auftürmten. Mein Weg ins Glück war noch weit, doch der Anfang war gemacht.
Refik hatte sich selbst gerichtet. Wahrscheinlich dachte er, nachdem mein Bruder ihn so angeschrien hatte, er habe mich tatsächlich getötet. Sonst hätte er niemals die Waffe gegen sich selbst erhoben.
Einmal bin ich noch in die alte Wohnung gegangen, um mir ein Bild zu machen von dem, was dort geschehen sein mochte, am Abend jenes 7. August 1997. Es stank entsetzlich nach Verbranntem. Das Wohnzimmer war ein schwarzes Loch, das Schlafzimmer verwüstet und alles zertrümmert, ebenso die Küche. Alles war schwarz vor Ruß. Einzig und allein Bernas Kinderzimmer schien vollkommen unberührt. Ich hatte es ganz in Weiß eingerichtet, und so war es auch jetzt noch. Es bildete einen unglaublichen Kontrast zu den verkohlten Räumen. Für mich war es wie ein Zeichen, dass die Unschuld doch erhaben ist über all die Gewalt und den Tod.
Ich habe nichts mitgenommen aus dem Kinderzimmer, nicht ein Plüschtier, kein einziges Stück. Ich ahnte, dass Berna diese Dinge nicht mehr sehen wollte, genauso wenig wie ich. Und so hatten wir beide einen vollkommenen Neubeginn, nicht ein Stück Erinnerung ist uns geblieben aus der Zeit mit Refik, und so wollte ich es.
Warum hat er mich nicht getroffen? Er stand kaum drei Meter von mir entfernt. Wollte Gott nicht, dass das geschieht? Hatte er sich vorher Mut angetrunken, wie er es in letzter Zeit sooft getan hatte? War er einfach ein Schlappschwanz, wusste er nicht, wie man die Waffe bedient? Wie auch immer – es schien mir unerklärlich, dass alle acht Kugeln ihr Ziel verfehlten. Ein Wunder, das ich dankbar annahm. Meine Erlösung nach all den Jahren voller Gewalt, Demütigung und Leid.
|128| Jetzt erst recht!
Meine Geschichte ging nicht nur durch die deutsche, sondern auch durch die türkische Presse, und auf einmal wollte der Mandant, für den ich in der Kanzlei zuständig war, nicht mehr, dass ich ihn vertrat. Ich ging davon aus, dass ich damit auf der Straße stand.
Als sei das nicht genug, trafen täglich Mahnungen bei mir ein, denn mein Mann hatte sich nach und nach hoch verschuldet. Er hatte viele Wünsche gehabt, doch mit Geld umgehen konnte er nicht. Ohne eigenes Kapital hatte er sich für 25 000 Mark einen Wagen gekauft, und ich hatte mit meiner Unterschrift dafür bürgen müssen, sonst hätte ihm die Bank den Kredit nicht gewährt. Alles musste er haben, sofort und vom Feinsten, immer wieder zwang er mich zur Unterschrift, er ließ mir keine Wahl, und nun bekam ich die
Weitere Kostenlose Bücher