Loewinnenherz
vorstellen kann, ihrem familiären Gefängnis jemals zu entkommen, sind das eigentliche Problem. Hat eine Frau einmal beschlossen, sich zu wehren, und stellt sie es klug an, wird ihr das in der Regel auch gelingen.
|195| Wir brauchen eine echte Integration
Seit rund vierzig Jahren leben in Deutschland Türken. Viele von ihnen hielten auch hier in Deutschland an ihrer Kultur fest. Einige gewöhnten sich an die westliche Welt und ihre Gebräuche, integrierten sich, ohne ihre Kultur oder Sitten aufzugeben. Bei vielen funktioniert das ohne Probleme. Andere taten sich damit schwerer. Zum Beispiel meine Mutter. Ihre Tradition hatte für sie absoluten Vorrang. Zwar lernte sie Deutsch und konnte sich einigermaßen mit Nachbarn unterhalten, wurde die Unterhaltung aber spezifischer, dann musste ich übersetzen. Meine Eltern genossen die Vorteile dieses für sie fremden Landes, weigerten sich aber vehement, das Land und die Menschen besser kennenzulernen, in dem sie lebten. Wenn es darum ging, was die Deutschen alles erreicht hatten, waren meine Eltern voller Anerkennung. An ihren deutschen Mitbürgern aber hatten sie nur wenig Interesse. Ich habe nie erlebt, dass meine Eltern einmal die Nachbarn zu uns zum Essen einluden oder dass sie selbst eine Einladung erhielten. Obwohl wir ausschließlich deutsche Nachbarn hatten, lebte meine Familie sehr weit weg von dieser Welt da draußen. Ich denke, der Grund dafür war eine übergroße Angst davor, sich zu öffnen und sich richtig zu integrieren. Nach allem, was meine Mutter mir als Mädchen verbot oder unterstellte, vermute ich, dass sie fürchtete, wir könnten etwas Wertvolles verlieren, sollten wir uns zu sehr mit den Deutschen einlassen. Was genau das war, habe ich bis heute nicht verstanden. War meine Jungfräulichkeit ein Symbol für etwas Tieferes, Archaisches, etwas, was man in der Fremde hüten und bewahren musste? Das Problem war, dass in unserer Familie – und ich vermute, es ist in vielen anderen ebenso – gar nichts mehr da war an Tradition, was es verdient hätte, mit diesen drastischen Mitteln geschützt zu werden. Wahrscheinlich war es meinen Eltern selbst nicht bewusst, wie groß ihre Angst vor Assimilation oder Integration war. Dabei kann man sich durchaus öffnen, ohne seine eigenen Traditionen aufzugeben. Doch wahrscheinlich |196| braucht es dazu ein starkes Selbstbewusstsein. Sollte dieses vielen türkischen Eltern, vor allem jenen, die darauf bestehen, ihre Töchter zu unterdrücken und an Ehemänner ihrer Wahl zu verheiraten, fehlen?
Mittlerweile sind wir also in der vierten Generation nach den ersten Gastarbeitern angekommen, und die Situation hat sich seit damals sehr verändert. Viele türkische Mitbürger sind längst integriert, ihre Kinder haben studiert oder einen guten Beruf erlernt und denken nicht mehr daran, zurückzukehren in ein Land, das sie kaum kennen. Andere dagegen wollen sich nicht integrieren oder können es vielleicht auch nicht. Denn in Deutschland wurde in den vergangenen vierzig Jahren keine konsequente Migrationspolitik betrieben. Die Folgen dieses Versäumnisses sind heute deutlich zu spüren. Was offenbar nicht automatisch und von alleine geschieht, sollte darum fest im Gesetz verankert werden.
Aber wie kann eine gelungene Integrationspolitik aussehen? Wie sollte Integration eigentlich aussehen? Ich habe das Gefühl, alle sprechen davon, doch wenige haben eine Vorstellung, was sie genau ist. Ist Integration, wenn die „Ausländer keinen Ärger machen“? Wenn sie fast schon die „besseren Deutschen“ sind, wie man es an manchen älteren ehemaligen Gastarbeitern der ersten Generation mitunter beobachten kann? Wie sollte Integration im Idealfall aussehen und welche Aspekte beinhaltet sie?
Friedrich Heckmann von der Universität Bamberg hat vier Bereiche konkret benannt:
Strukturelle Integration : Der Erwerb von Rechten und Zugang zu Positionen von Menschen mit Migrationshintergrund, wie z. B. in der Wirtschaft, Bildung, Gesundheit und Politik etc.
Kulturelle Integration : Kulturelle Anpassung und Veränderung bei Menschen mit Migrationshintergrund und vor allem bei der aufnehmenden Gesellschaft. Dieser Prozess ist auf freiwilliger Basis auf der Grundlage von demokratischen Grundwerten und Spielregeln von beiden Seiten zu bewältigen. Das ist die |197| Garantie für die Entfaltung der kulturellen Vielfalt vor allem im Alltagsleben.
Soziale Integration : Die Entwicklung sozialer Kontakte, die Mitgliedschaft in
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