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Lohn der Angst

Lohn der Angst

Titel: Lohn der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Arnaud
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zweitausend Packs * in der Kreide, als Linda anfing, für ihn zu arbeiten. Die unterwürfige Leidenschaft, mit der sich die Mestizin ihm zu Füßen warf, war Gérard einigermaßen zuwider und rührte ihn in keiner Weise. Aber er dachte, daß von einem Zuhälter nicht gerade die große Liebe erwartet wurde. Er begann also bei Hernandez abzuzahlen. Aber er kam von seinen Schulden nicht herunter: die alten wurden abgedeckt, dafür kamen neue hinzu.
    Gérard Stürmer hatte schnell alle Möglichkeiten erkundet, die sich einem Burschen wie ihm in Stadt und Hafen Las Piedras boten. Er hatte zuerst reguläre Arbeit gesucht. Die Aussichten waren schlecht. Die einheimische Bevölkerung von Las Piedras vegetierte in äußerstem Elend dahin. Fieber, Erbübel und Epidemien hatten ihre Gesundheit untergraben, und es waren viel zu viel Menschen für die wenige Arbeit, die der Hafen bot. Arbeitslosigkeit und Hunger waren in diesem ehemaligen Umschlaghafen der pazifischen Küste an der Tagesordnung.
    Und zu den Einheimischen kamen noch die hungernden Abenteurer: Söldner aus den Nachbarstaaten, wo die Regierung, der sie ihre Dienste verkauft hatten, gestürzt war; skandinavische Seeleute, die wegen einer Flasche Rum oder wegen einer Frau desertiert waren und gedacht hatten, mit dem nächsten Schiff weiterzukommen. Aber sie warteten vergebens auf das »nächste Schiff«. Nur die amerikanischen Petroleumtanker legten hier noch regelmäßig an, blieben sechs Stunden an der Mole, wo die Pipeline von Zulaco mündete. Bei denen war nichts zu machen: ihre Besatzung bestand nur aus Yankees, Mitgliedern der Golden Star, der Gewerkschaft, die ausschließlich angelsächsische Matrosen aufnahm. Wohl lief alle Jubeljahre ein Frachter aus Panama den Hafen an und ging hier sogar für eine Woche vor Anker. Aber die, die sich einschiffen wollten, hatten selten so viel Geld, um das Herz des Kapitäns zu rühren. Und diese Kähne waren zu klein, als daß man sich auf ihnen hätte als blinder Passagier verbergen können.
    Alle, die in Las Piedras gestrandet waren, befanden sich in der gleichen Lage wie Gérard: aus den umliegenden Staaten vertrieben, von ihrer Vergangenheit verfolgt, saßen sie in diesem schmutzigen ungesunden Loch fest, wo sie nicht leben konnten und das zu verlassen nur möglich war, wenn sie mit Schiff oder Flugzeug fort konnten: nach Mexiko, nach Chile.
    Dazu hatten sie kein Geld. Und Tag für Tag zehrte eine bösartige Anämie an ihrem Blut; die Ruhr an ihren Eingeweiden; das Fieber, die Langeweile – in ihrem Gefolge Rauschgift und Laster – an ihrem Gehirn. Ohne Arbeit, ohne ein Geldstück in der Tasche, warteten sie, suchten sie nach der unwahrscheinlichen Möglichkeit, hier herauszukommen. Die Wahl war für sie höchst einfach: entweder fort oder verkommen. Sie konnten nicht fort, aber sie weigerten sich unbedingt, hier zu verkommen. Mit geballten Fäusten, mit zusammengebissenen Zähnen liefen sie in diesem Menschenkäfig, in den sie geraten waren, aufs höchste gereizt, hin und her.
    »Kein Flugplatz ohne Geld, kein Geld ohne Arbeit. Es gibt keine Arbeit. Kein Flugplatz ohne Geld...« Sie halten sich kaum auf den Beinen, erschöpft, mutlos und blutlos. Unnötig, an die Stahlkammer der amerikanischen Ölgesellschaft zu denken; die Wachmannschaft besteht aus lauter wohlgenährten Burschen, die fähig sind, einen Mann mit einem Faustschlag niederzustrecken... »Ohne Geld kommt man nicht fort...«
    Gérard verdankte es Linda, daß er wenigstens dieser äußersten Misere entgangen war. Aber der Beginn war auch für ihn schwer gewesen. Zwei Tage nach seiner Ankunft war er wie alle ins Einstellungsbüro der Crude gegangen. In einem Saal mit grauem, staubigem Boden, in dem vier lange Bänke im Viereck standen, warteten etwa zwanzig Elendsgestalten, bis sie an die Reihe kamen, und tauschten jammernd Betrachtungen über ihr Unglück aus. Sie waren mager, ihre Augen glänzten; ihr Geruch war der von Leuten, die Hunger haben. Gérard ging quer durch den Raum und klopfte an das Büro des Personalchefs.
    »What’s the matter?« fragte von drinnen eine hochmütige, heisere Stimme. Stürmer trat ein und stand dem Ungeheuer direkt gegenüber.
    Der Mann, den man um Arbeit bittet, erscheint einem meist wie ein Schreckgespenst; aber dieser Anblick hier übertraf alle diesbezüglichen Vorstellungen. Etwas Langes, Fadenförmiges, Bleiches, mit goldener Brille und goldenen Zähnen, mit einem Füller hinterm linken Ohr, einem in der rechten Hand,

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