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Lohn der Angst

Lohn der Angst

Titel: Lohn der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Arnaud
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saß schwitzend vor einem Formular. Von Zeit zu Zeit griff er nach dem Ventilator und hielt ihn ganz dicht an sein linkes Ohr. Das sah aus, als wolle er sich das Gehirn mit Luft reinigen. Er hatte Gérard von unten her betrachtet und geseufzt:
    »No Job for you, guy. I’ll see you...«
    Zwei Tage später ging Gérard zum Amt für Einwanderung und Arbeit, obwohl es für einen Mann wie ihn beschämend war, das zu tun. Das Amt war in einem riesigen Betongebäude untergebracht, das Tor war aus Bronze. Die Feuchtigkeit hatte grüne Ringe darauf eingegraben und es mit schimmligen Blasen bedeckt. In dem Patio hing eine große Tafel, die ebenfalls aus Bronze war und auf der die Rechte und Pflichten des Einwanderers zu lesen waren; der Schlußsatz war besonders bemerkenswert:
    »Wer guatemaltekischen Boden betritt, beseelt von Mut und dem Willen zu dienen, begabt mit Gesundheit, Ausdauer und Begeisterung, der wird auch jeden Tag zu essen haben.«
    Wie oft am Tage und was, das sagte der Text nicht.
    In der Halle, hinter einem Schreibtisch nach amerikanischem Muster, saß ein Beamter in Uniform, das heißt, er trug Khakihose, weißes Hemd, schwarze Krawatte, grünen Augenschirm. Er winkte mit der Hand ab, noch bevor Stürmer den Mund aufgetan hatte. Der Europäer war davon nicht weiter überrascht. »Hallo, amigo!« rief er in einem Ton, als treffe er einen Jugendfreund nach zehnjähriger Trennung wieder. Der Schreiberling hob erstaunt den Kopf, und etwas, was in diesen Breiten als Lächeln bewertet werden kann, zeichnete sich auf seinem khakifarbenen Gesicht ab.
    Als Lohn für sein Talent als Plauderer – Gérard hatte einen hübsch retuschierten, um nicht zu sagen frei erfundenen Bericht seiner Vergangenheit geboten – erhielt er ein Formular mit seinen Personalien überreicht: Gérard Stürmer, sechsunddreißig Jahre alt, Geburtsort: Paris, nicht vorbestraft, Beruf: Direktor. Erst als er wieder auf der Straße stand, las er, daß er als Hafenarbeiter angestellt war.
    Gérard fand sich mit seiner neuen Würde ab.
    »Der Himmel hat ein Einsehen«, sagte er sich, »es gibt Hafenarbeiter, die niemals einen Sack oder eine Kiste anzurühren brauchen und trotzdem an jedem Wochenende ihre Löhnung in Empfang nehmen...«
    Er ging zum Hafen.
    Etwa zwanzig Meter von der Kaimauer entfernt standen Zementsäcke in einer langen Reihe, die senkrecht aufs Meer lief. Viele Säcke: hundert Meter lang, dreißig breit, fünf hoch. Unter der Leitung eines Vorarbeiters mit Knüttel und Trillerpfeife nahmen etwa zwanzig Männer die Säcke auf, luden sie sich auf den Rücken, um sie am anderen Ende der Mole abzusetzen, parallel zum Ufer, in einer stattlichen Reihe: hundert Meter lang, dreißig breit, fünf hoch. Das sah so aus, als hätten sie nach beendeter Umladung die ganze Arbeit in umgekehrter Richtung wiederaufzunehmen.
    Gérard näherte sich den Arbeitern. Der Schweiß lief ihnen am ganzen Körper entlang und bildete, gemischt mit dem Zement, auf ihrer Haut so harte Rillen, daß sie blutete. Ihre Gesichter waren eingefallen, die Augen starr. Wenn sich beim Einatmen mühselig ihre sich scharf abzeichnenden Rippen hoben, hatte man den Eindruck, daß in ihrem Innern etwas zerriß. Zuweilen blieb einer von ihnen stehen, hustete und spuckte graue Haufen Schleim und Zement aus. Wenn er dazu zu lange brauchte, pfiff der Aufseher zweimal kurz nacheinander. Beim dritten Pfiff gab es einen Schlag mit dem Knüppel.
    Stürmer ging auf den Aufseher zu, händigte ihm das Papier aus, das ihm der Kerl auf dem Einwanderungsamt gegeben hatte, und fragte:
    »Was soll ich hier tun?«
    Der Mann, ein fetter Indio, der wie ein Henker aussah, hielt ihm mit kollegialer Miene die Zeichen seiner Amtsgewalt hin.
    »Mich ablösen, Kamerad.«
    Gérard musterte ihn. Er benahm sich wirklich freundschaftlich, dieser Dreckskerl.
    »Da will ich mich aber doch lieber in eurem Cárcel Modelo * füttern lassen, weil ich dich totgeschlagen habe, als dein dreckiges Geschäft besorgen, du Vieh.«
    Der andere machte ein verblüfftes Gesicht. Stürmer zuckte die Achseln und ging ins Corsario zum Mittagessen. Er gab es auf, eine anständige Arbeit zu suchen. Zu dieser Einsicht hätte er früher kommen können.
    Später hatte er sich dann den Schmugglerplan ausgedacht. Vier Wochen lang verhandelte er mit zwei wohlhabenden Geschäftsleuten, einem Schwarzen mit goldener Brille und »einnehmendem« Wesen, dem die Apotheke gehörte, und mit einem Indio, Alvarez Gordo, dem Besitzer des

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