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Lohn des Todes

Titel: Lohn des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Renk
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Kluges wussten, was hier passierte, er fand
     kleine Jungen auch spannend. Zu blöd, dass seine Rosette inzwischen gerissen ist. Er wird nie wieder normal scheißen können.
     Muss er auch nicht. Er ist so gut wie tot.« Nun lachte der Mann laut auf, hielt dann inne, lauschte. »Da kommen Autos. Sicher,
     dass die Polizei nicht Bescheid weiß?«
    »Ich habe niemanden informiert!«, beteuerte ich.
    »Wir werden sehen.« Er trat auf mich zu, beugte sich über mich und klebte mir mit einer blitzschnellen Bewegung Gewebeband
     über den Mund. Verzweifelt schnappte ich nach Luft, in meiner Nase brannte es. Vor Angst und Verzweiflung wurde mir schlecht.
     Sollte ich mich jetzt übergeben müssen, würde ich elendig ersticken.
    »Sonja hatte alle Chancen der Welt«, sagte er und sah auf mich herab. »Ich nicht. Sie sollte erfahren, wie es ist zu leiden.
     Für sie waren es nur ein paar Tage, irgendwie hat sie mir auch leid getan, aber ganz vergeben konnte ich ihr nicht. Genauso
     wenig wie den anderen.«
    Dann ging er, verschloss das Gittertor der Kapelle hinter sich. Wir waren gefangen, nur knapp von der Außenwelt entfernt.
     Weder dicke Mauern noch Türen trennten uns von ihr, und doch hatten wir keine Chance, uns bemerkbar zu machen. Gerade dies
     machte die Situation so unfassbar und unerträglich.
    Quälende Angst ergriff mich. Ich sah zu Charlie. Er atmete immer noch, doch die Atmung wurde flacher. Eine Lache Blut sammelte
     sich um ihn. Wie viel Blut hatte ein Hund seiner Größe, und wie viel konnte er verlieren, ohne zu sterben? Ich wusste es nicht.
    |256| Kluge bewegte sich, zuckte. Es war nur ein Muskelzucken, vielleicht das letzte Aufbäumen vor dem Ende. Der Tod beherrschte
     die Kapelle. Schutzengelkapelle, las ich in einer Inschrift. Nichts hätte unpassender sein können. Tiefes Grauen erfasste
     mich. Ich zitterte. Vorsichtig versuchte ich, meine Hände und Beine zu bewegen, aber den Fesseln konnte ich nicht entkommen.
     Ich würde sterben. Schneller und schmerzloser wäre es gewesen, wenn mich der Unimog überfahren hätte. Einmal war ich heute
     dem Tod knapp entkommen, ein zweites Mal würde es mir bestimmt nicht gelingen. Verzweifelt schloss ich die Augen.
    Nein, Constanze, die Hoffnung stirbt zuletzt. Robert ist da. Er ist die Hoffnung. Seine Kollegen kommen irgendwann. Jemand
     wird dich finden und befreien. Daran musst du glauben. Und doch wusste ich, dass ich mich belog. Robert ahnte nichts von der
     Gefahr.
    Die Sonne ging unter, es wurde merklich kühler. Das Laub raschelte. Ich meinte, seltsame Geräusche zu hören. Der widerliche
     Verwesungsgeruch und das ganze Blut lockten sicherlich kleine Aasfresser an. Ratten und Mäuse, vielleicht auch Füchse oder
     Marder. Sie würden ohne Probleme durch das Gitter kommen können. Der Gedanke, bei lebendigem Leibe angefressen zu werden,
     versetzte mich in Panik.
    Denk nicht darüber nach, befahl ich mir, denk an etwas Schönes! Ich stellte mir mein Haus in Hechelscheid vor, den prasselnden
     Kamin und eine Kanne mit heißem Tee. Meine Gedanken drifteten ab. Hatte Sonjas Bruder jemals ein richtiges Zuhause kennengelernt?
     Hatte er sich irgendwann einmal geborgen gefühlt? Die Verletzungen, die ihm zugefügt worden waren, hinterließen nicht nur
     am Körper, sondern auch auf der Seele Wunden. Wunden, die sich zum Teil nie schlossen und nie verheilten. Narben, die immer
     wieder aufbrachen.
    Er hatte Furchtbares durchgemacht und nicht nur er, sondern viele andere auch. Was war mit all diesen verletzten Kinderseelen?
     Die Täter machten sich keine Vorstellung von |257| dem, was sie anrichteten. Ich begann, Mitleid mit dem jungen Mann zu haben. Kluge röchelte. Zögernd sah ich zu dem geschundenen
     Körper. Egal, was er gemacht hatte, eine Strafe hatte er sicher verdient, doch nicht diesen grausamen Tod und diese Qualen.
     Es gibt immer viele Erklärungen für das Böse, aber nichts rechtfertigte diese Taten.
    Die Kälte kroch aus den Steinen hoch in meinen Körper, bis in meine Knochen. Ich erschauerte.
    Wieder schaute ich nach draußen. Die Freiheit war zum Greifen nahe, nur ein Gitter trennte mich von ihr und die Fesseln. Tränen
     stiegen in meine Augen, alles verschwamm und verwischte.
    Die Wagen waren vorbeigefahren, ohne anzuhalten. Wohin der Täter gegangen war, wusste ich nicht, auch nicht, wann er wiederkommen
     würde.

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    Kapitel 28
    Plötzlich hörte ich Schritte. Ich öffnete die Augen und versuchte verzweifelt, Luft zu

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