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Lohn des Todes

Titel: Lohn des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Renk
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    |248| Kapitel 27
    Ich folgte ihm, sah ihm nach, wie er den Weg zum Heim ging, hinter der Hausecke verschwand. Er wirkte auf mich als Mann, das
     war mir deutlich bewusst. Ich fühlte mich bei ihm geborgen und aufgehoben. Es hatte Zeiten gegeben, da hatte ich das Gleiche
     für Martin empfunden. Wo war dieses Gefühl geblieben? Verschwunden, aufgerieben im Alltag? Zermürbt durch die vielen ungelösten
     Konflikte? War es möglich, so ein Gefühl wiederzufinden? Den Status zu erneuern? Ich wusste es nicht.
    Langsam ging ich den Pfad entlang, blieb stehen und rief meinen Hund. Zur rechten Seite lag eine Wiese, die in den Wald überging.
     Dort führte die gewundene Straße entlang, auf der der Reifen meines Wagens geplatzt war. Zur Linken begrenzte eine Reihe Bäume
     die Sicht, doch hin und wieder konnte ich in das Tal sehen. Unterhalb des Kamms lag das Kinderheim, daneben ein Sportplatz
     oder Fußballfeld und zwei Tischtennisplatten aus Stein.
    Ich ging weiter. Der Pfad führte zu einer kleinen Kapelle. Der Eingang schien durch ein Gittertor abgegrenzt zu sein. Immer
     wieder blieb ich stehen, rief meinen Hund. Der Wald warf meinen Ruf als Echo zurück. Ich lauschte, doch weder hörte ich das
     vertraute Knacken, wenn er durchs Unterholz brach, noch hörte ich ein Bellen. Dann entdeckte ich plötzlich etwas am Rande
     des Weges. Es sah aus wie ein großes Bündel oder ein brauner Sack … oder … Ich lief schneller. Mein Herz pochte, der Schmerz
     hinter meiner Schläfe hämmerte. Es sah aus wie ein Tier – wie ein Hund, mein Hund.
    »Charlie!«, rief ich entsetzt und fiel vor ihm auf die Knie. Er atmete noch. Was war mit ihm geschehen? Vorsichtig strich
     ich über seinen Kopf, dann den Hals entlang. Ich spürte das warme, klebrige Blut, das an der Halsseite langsam aus ihm herauspulsierte.
    »Grundgütiger, was ist mit dir passiert?« Vorsichtig zog ich |249| das Fell auseinander und sah eine glatte Schnittwunde. Dann hörte ich es rascheln, spürte einen Lufthauch, als jemand hinter
     mich trat.
    »Robert …?«
    Das dumpfe Geräusch, als etwas meinen Kopf traf, war das Letzte, was ich vernahm. Dann umhüllte mich die Dunkelheit.
     
    Mein Kopf schmerzte, ein dumpfes Pochen jetzt nicht nur an der Schläfe, sondern überall. Ich hatte das Gefühl, als würde sich
     mein Gehirn ausdehnen wie ein Luftballon und stieß drängend gegen die Knochen. Gleich würde mein Kopf platzen. Ich musste
     träumen, einer dieser fürchterlich realistischen Träume, in denen man Schmerzen zu spüren vermeint. Wach auf, Conny, sagte
     ich mir und versuchte mich zu bewegen. Es wollte mir nicht gelingen, und auch die Augen konnte ich nicht öffnen. Mein Mund
     war trocken, die Zunge angeschwollen, ich versuchte mit der Zunge über die Lippen zu fahren und schmeckte Blut.
    Langsam kam die Erinnerung zurück. Du hast einen Unfall gehabt, Conny. Epidurales Hämatom. Es ist aufgeplatzt, du bist bewusstlos
     geworden, und nun liegst du irgendwo im Wald. Dein Gehirn füllt sich mit Blut, und bald bist du nur mehr Gemüse.
    Verzweifelt riss ich die Augen auf, zwang mich, an die Oberfläche meines Bewusstseins zu kommen. Es roch grauenvoll nach Verwesung,
     süßlich und gleichzeitig ekelerregend nach Fäulnis, metallisch nach Blut und widerlich nach etwas anderem, das die Sinne betäubte.
     Erst kam ich nicht darauf, doch dann fiel es mir ein. Es war Weihrauch. Mir wurde schlecht, doch in meinem Magen war nur der
     Schluck Wasser, den ich vorhin getrunken hatte. Magensäure stieg auf, verätzte mir die Schleimhäute.
    Ich öffnete den Mund, drehte mich zur Seite und würgte verzweifelt. Endlich konnte ich auch die Augen öffnen. Verwundert stellte
     ich fest, dass meine Gallenflüssigkeit nicht auf |250| den Waldboden tropfte, sondern auf Steinboden. Wo war ich? Charlie! Wo war mein Hund? Erschrocken versuchte ich mich aufzusetzen,
     doch irgendetwas hielt mich am Boden. Ich sah an mir herunter. Meine Arme, das merkte ich jetzt, waren rechts und links von
     mir fixiert, ich lag auf dem Boden, die Beine gerade ausgestreckt und zusammengebunden. Eisige Kälte stieg in mir hoch. Wo
     war ich? Was war geschehen? Ich schaute nach links und erstarrte. Dort saß ein nackter Mann aufrecht an der Wand, das Kinn
     lag auf seiner Brust. Seine Arme waren seitlich von ihm festgebunden, dort waren Haken in die Wand eingelassen. Sein Körper
     war blutüberströmt, er hatte sich eingekotet. Der Boden um ihn herum war schwarz. Altes Blut.
    Dies war der

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