Lohn des Todes
in einem bedächtigen Tanz, lösten sie sich auf.
Martin war nicht zu sehen. Ich legte die Brötchentüte auf den Tisch, fütterte den Hund, nahm mir eine Tasse Kaffee und setzte
mich auf die Terrasse. Robert nickte mir zu, schaute mich nachdenklich an. Ich sah vermutlich aus wie einmal durch den Wolf
gezogen. Die Nacht war zu kurz gewesen, meine Gedanken quälten mich. Gegen meine Gewohnheit, alle anzusehen, wich ich seinem
Blick aus.
Schweigend frühstückten wir. Als alle fertig waren und wir das Geschirr schon zusammenräumten, tauchte Martin auf. Julius
und Thorsten trugen ihre Teller in das Haus. Robert ließ sich wieder auf seinen Stuhl sinken.
»Guten Morgen, Martin«, sagte er mit seiner nougatweichen Stimme. »Wie geht es dir?«
Wenn Blicke töten könnten, dachte ich und schluckte. Martin war ein Bündel aus Wut.
»Was erwartest du? Dass es mir gut geht?« Martin lachte heiser.
»Du bist zornig.« Das war eine Feststellung von Robert, keine Frage.
»O ja. Dies Wochenende war in vielerlei Hinsicht sehr erhellend. |99| Ich habe einen Fehler gemacht, nämlich dich und deine OFA hierhin einzuladen.«
»Wieso?«
»Weil damit mein Leben in Puzzlestücke zerbrochen ist.«
»Und daran bin ich schuld? Oder die OFA?«
Martin nahm seinen Kaffeebecher, trank bedächtig. Mich hatte er noch nicht angesehen. Vorsichtig schob ich meinen Stuhl zurück.
Dieser Unterhaltung wollte ich nicht beiwohnen, doch Robert gab mir ein Zeichen zu bleiben.
»Martin, ich schätze dich sehr. Du bist der beste Rechtsmediziner, den ich kenne, und ich kenne einige. Du bist sachlich,
gut informiert, arbeitest unglaublich präzise. Über das Maß hinaus. Ich hätte dich gerne weiter in dieser und sicherlich in
noch weiteren OFAs. Das geht aber nur, wenn du auch weiterhin sachlich bleibst. Deine persönlichen Probleme stehen außen vor
bei der Arbeit.« Robert blieb ruhig, aber er klang streng.
»Du hast gut reden.« Martin sah verstohlen zu mir. Ich saß auf meinem Stuhl, versuchte locker zu wirken, fühlte mich jedoch,
als hätte ich ein Stahlrohr verschluckt.
»Ich möchte gehen«, flüsterte ich. Es rutschte mir heraus, eigentlich hatte ich es nur gedacht.
Robert sah mich an, schüttelte stumm den Kopf.
»Du möchtest gehen?«, fauchte Martin. »Dann tu das doch! Warum bist du überhaupt gekommen?«
Plötzlich entfachte sich etwas in mir, es musste wohl der Kampfgeist sein, der mir in den letzten Monaten verloren gegangen
war.
»Ich bin in mein Haus gekommen, Martin. Ohne zu wissen, dass ihr hier seid. Ohne zu ahnen, dass du es zu deinem und Marias
Haus gemacht hast, schon längst vermutlich. Ich wusste es nicht, denn die Blöße hätte ich mir ansonsten nicht gegeben. Ich
bin ins offene Messer gelaufen, und du hast es mir hingehalten. Du meinst, für dich wäre es schrecklich? Glaube mir, für mich
ist es schlimmer.« Ich stand auf, starrte ihn an. Am liebsten hätte ich ihn geohrfeigt.
|100| »O verdammt, Conny. Ich weiß. Es tut mir leid.« Martin senkte den Kopf.
In diesem Moment wusste ich, dass ich ihn noch liebte. Aber das Wissen alleine reichte nicht, auch seine Demut tat nichts
zur Sache.
»Ich packe meine Sachen und fahre zu meinen Eltern.« Charlie folgte mir mit gesenktem Kopf, so als wüsste er, dass alles in
der Schwebe stand.
»Wir bleiben in Kontakt«, sagte Robert zu mir, als ich meine Sachen in den Golf lud. Ich nickte nur, schluckte meine Beklemmungen
herunter. Martin hatte sich nicht mehr blicken lassen. Einen Moment wartete ich noch, hoffte, dass er auftauchte, er tat mir
den Gefallen nicht. Bis zu meinen Eltern würde ich gut fünf Stunden brauchen. Ich nahm das Handy, drückte die Kurzwahl, der
Anrufbeantworter sprang an.
»Vati, ich komme jetzt zu euch«, sprach ich enttäuscht auf die Maschine und fuhr los. Kurz vor der Autobahn klingelte mein
Handy.
»Conny, du hattest angerufen.« Es war mein Vater. Er klang ganz anders als gestern, viel gelassener.
»Ich bin gerade auf dem Weg zu euch.«
Er schwieg für einen Moment. »Das ist furchtbar lieb, aber nicht nötig, Conny. Mutter geht es viel besser. Sie kommt wahrscheinlich
morgen oder übermorgen schon nach Hause. Und dann braucht sie Ruhe. Ich besuche sie, aber sie schläft viel, erholt sich eben.«
Natürlich war ich froh, dass es meiner Mutter besser ging. Trotzdem fühlte ich mich plötzlich zurückgewiesen. Mir wurde klar,
dass ich auch deshalb zu meinen Eltern fahren wollte, um meiner
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