Lohn des Todes
lächerlich hoch.
Sie schwieg immer noch. Ich seufzte, wusste, was sie erreichen wollte. »Martin war hier.«
»Wo ist er jetzt?«
»In Köln.«
»Bei ihr?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Er will |106| nachdenken. Vielleicht ist er zu Andreas gefahren. Aber ist es nicht egal? Hat er sich nicht schon entschieden? Für sie und
gegen mich?«
»Ist das wichtig?«, fragte Miriam.
»Natürlich ist das wichtig. Wenn er sich für sie entschieden hat, habe ich keine Chance mehr.«
»Hat er denn noch eine Chance?«
Ich nahm die Frage in mich auf, ließ sie wirken. Trank einen Schluck Wein, dann noch einen. Ich hatte nicht viel gegessen
und würde vermutlich schnell betrunken sein. Es war mir recht. Alles war mir recht, was den Schmerz betäubte. Hatte Martin
noch eine Chance? Konnte ich ihm das verzeihen?
»Ich weiß nicht. Nichts wird jemals so sein, wie es war.«
»Das ist vermutlich so. Manchmal ist es aber auch eine Möglichkeit, von vorne anzufangen, aufzuräumen und alles besser zu
machen. Aber dazu müssen Entscheidungen getroffen werden. Wie steht es damit bei dir?«
»Ich habe gestern eine Entscheidung getroffen und bin zurück in die Eifel gefahren.«
»Tatsächlich?« Miriam zog die Augenbrauen hoch.
»Ja, mir war eingefallen, dass Sonja sich verfolgt gefühlt hatte.«
»Aber das ist doch Jahre her, oder?«
»Richtig, aber wer sagt uns, dass der Täter nicht schon damals hinter ihr her war? Sie hat es gemerkt und sich vielleicht
geschützt, er kam nicht an sie heran. Im Laufe der Jahre ist sie nachlässig geworden, und er hat dazugelernt. Inzwischen beherrscht
er die Regeln der Jagd, lauert auf, schlägt zu, wenn es niemand erwartet.«
»Du bist in der OFA?«
Ich nickte.
»Das finde ich großartig. Wer leitet sie?«
»Robert Kemper heißt er. BKA Wiesbaden. Fähiger Mann, nett.« Ich sah Miriam an, sie grinste. »Nein, nicht was du denkst.«
»Was denk ich denn?«
|107| »Nicht auf diese Art und Weise nett. Nett als Kollege.«
»Wirklich? Immerhin hast du dir aber Gedanken darüber gemacht.« Sie hob ihr Glas, prostete mir zu. »Du machst rasante Fortschritte.
Unglaublich eigentlich. Ich bin beeindruckt. Aber pass auf – manchmal muss man zwei Schritte vor, aber auch einen zurückgehen.
Das ist normal und kein Rückschlag. Mute dir nicht zu viel zu.«
Wir leerten die Flasche Wein, die nächste. Redeten über Männer. Miriam tröstete mich nicht. Schmerzen überwand man am besten,
indem man sie zuließ. Es gab nichts, womit ich die Situation ändern konnte. Martin musste sich entscheiden, aber ich mich
auch. Wollte ich diese Beziehung überhaupt noch? Diese Entscheidung konnte ich nicht schnell treffen, ich würde Zeit brauchen.
Miriam bestellte etwas vom Chinesen, sie aß mit gutem Appetit, ich kaute an einer Gabel gebratener Nudeln, schob dann den
Teller weg, nahm mir noch ein Glas Wein. Irgendwann drehte sich alles, verwischte und verschwamm. Meine Freundin und Mentorin
brachte mich ins Bett, ging mit dem Hund raus, legte sich auf das Sofa. Als ich wach wurde, war mir schlecht, schwindelig,
mein Kopf drohte zu bersten. Nach zwei Tassen starken Kaffee und einer heißen Dusche ging es mir besser. Miriam machte Rührei
mit Speck. Von dem Geruch wurde mir wieder übel, doch ich zwang mich zu essen. Die ganze Zeit hing ein Gedanke in meinem Hinterkopf,
den ich nicht greifen konnte. Etwas, das mit der OFA zu tun hatte, aber was?
Ich begleitete Miriam zu ihrem Auto, verabschiedete mich mit dem Versprechen, mich zu melden, und lief mit Charlie zu meiner
Praxis am Neumarkt. Heute hatte ich keine Termine, aber dort würde mich nicht alles an Martin erinnern. Ich wollte nachdenken.
Nicht über meine Beziehung, sondern über die Fälle.
Wie immer an einem Montag war die Kinderarztpraxis meiner Kollegin nebenan gut gefüllt. Babys weinten, Kleinkinder kreischten,
Mütter versuchten zu beruhigen.
|108| Mütter. Ich rief meinen Vater an, er klang zufrieden, meiner Mutter ging es besser, aber sie würde noch zwei weitere Tage
in der Klinik bleiben.
»Was ist mit Rita?«, fragte ich leise. »Hilft sie dir? Wäsche? Kochen?«
»Rita ist immer noch in Prag, Conny«, sagte mein Vater. Der Ton seiner Stimme sank um zwei Grad. »Beruflich, sagt sie.«
»Das tut mir leid. Wenn ich kommen und helfen soll …«
»Ich bin zwar alt und mit den Haushaltsdingen nicht besonders vertraut, aber vertrottelt bin ich nicht. Vielleicht ist es
ganz gut,
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