Lohn des Todes
dir?«
»Spar dir das Vorspiel. Gibt es ein neues Opfer?«
»Was?«
»Du rufst doch nicht an, um zu fragen, wie es mir geht. Was gibt es Neues? Eine weitere Leiche?«, fragte ich gepresst.
Er schwieg. Ich konnte seinen Atem hören.
»Robert?« Meine Nervosität stieg.
»Ich bin in Schleiden, komme aus Aremberg«, sagte er dann leise. »Wo bist du?«
»Quasi um die Ecke.« Nun schwieg ich. Was gab es Neues, das er mir nicht am Telefon erzählen wollte? Mein Herz klopfte, es
fühlte sich an wie ein kleines Tier, das in meiner Brust gefangen war.
»Du bist in Hechelscheid? Das habe ich mir gedacht.« Er zögerte.
»Ja, bin ich. Komm vorbei.« Ich klang entnervt, er sollte ruhig spüren, dass ich es war.
»Conny, es gibt nichts Neues in den Fällen. Keine wesentlichen Dinge.« Er schluckte hörbar. »Ich weiß, dass Martin nach Rheinland-Pfalz
gefahren ist. Und ich dachte … dachte, du solltest heute Abend nicht alleine sein. Es war bestimmt ein schwieriger Tag.«
Ich atmete tief durch, lehnte mich zurück. »Du hast daran gedacht?«
Er antwortete nicht. Stieß dann die Luft aus. »Verstehe mich nicht falsch, ich will dich nicht belästigen.«
»Komm vorbei, Robert.«
»Sicher?«
|193| »Ja.«
Im Eisfach war noch ein Stück Rinderfilet, ich hatte Rucola-Salat mitgebracht und ein Stück Parmesan. Ich schnitt das Rinderfilet
mit der Schneidemaschine in hauchdünne Scheiben, garnierte es mit dem Salat und Käse, würzte ordentlich. Eine Flasche Merlot
aus unserem letzten Südfrankreichurlaub füllte ich in den Decanter, ließ den Rotwein atmen. Dazu hatte er allerdings nicht
viel Zeit, denn Reifen knirschten auf dem Kies im Hof. Charlie sprang auf und lief in freudiger Erwartung zur Tür. Ich folgte
ihm, öffnete mit gemischten Gefühlen.
Robert nahm mich schweigend in den Arm, zuerst sträubte sich alles in mir dagegen, doch dann spürte ich, wie gut seine Wärme
tat. Er hielt mich einfach fest, sagte nichts. Den Gedanken an Svens Beerdigung hatte ich verdrängt, aber nun war da jemand,
der Anteil nahm, der mit mir fühlte. Ich wandte mich aus Roberts Armen, schüttelte den Kopf.
»Nicht jetzt. Ich kann das jetzt nicht. Ich will keinen Dammbruch der Trauer«, flüsterte ich.
»Wann dann?«, fragte er leise.
Ich wich zurück. »Nicht jetzt. Bitte.«
»Conny …«
»Nein, Robert.« Ich ging zurück in die Küche, holte geschäftig die Platte mit dem Carpaccio und den Wein, schnitt Brot auf,
brachte alles ins Wohnzimmer.
Robert hatte sich in den Sessel gesetzt und betrachtete mich schweigend. Er hatte die Fingerspitzen zusammengelegt, ein Zelt,
ein Tipi, dachte ich.
»Nimm dir.« Ich deutete auf die Platte, brach mir ein Stück Brot ab, zerbröselte es. »Was hast du in Aremberg gemacht?«
»Conny?«
»Nein, ich will nicht darüber sprechen.« Ich sah in den Ofen, das Feuer flackerte munter.
Robert schenkte uns ein Glas Wein ein, trank bedächtig, schaute mich dann an. »Ich war in Aremberg, weil ich den Tatort sehen
wollte. Es ist fast sicher, dass Kluge Mueskens zu Hause überwältigt hat und ihn dann mitnahm. Wohin auch |194| immer. Ich habe mit ein paar Leuten dort gesprochen.« Er runzelte die Stirn, schwenkte sachte das Glas.
»Und?«
»Ach.« Es klang wie das Fauchen eines dicken Katers. »Es ist ein Dorf. In einem Dorf werden Geschichten erzählt.«
»Welche?«
Er winkte ab, trank, nahm sich eine Scheibe vom Fleisch.
»Nun komm, Robert. Was wird erzählt?«
Robert kaute, schluckte, kaute wieder, trank. Er ließ sich Zeit damit. Ich wurde immer nervöser.
»Es gab«, sagte er schließlich und trank dann einen Schluck Wein, schluckte, fuhr endlich fort, »wohl Gerüchte. Vor Jahren.
Das erzählen ältere Bewohner des Dorfes. Über den Forellenhof, das Gasthaus, welches Mueskens gehört hat.«
»Gerüchte? Was für Gerüchte?«
»Das muss man mit Vorsicht betrachten, Conny. In einem kleinen Dorf wird jemand grausam ermordet, und gleich gibt es Leute,
die irgendwelche komischen Verbindungen knüpfen. Sie haben vor Jahren mal etwas gehört, etwas Schlimmes. Es wurde nur gemunkelt,
aber das war doch dort, das war doch der Forellenhof. Diese Gerüchte beziehen sich meist auf Tatsachen, auf tatsächlich geschehene
Dinge, wurden aber durch die zweite, dritte, fünfte Hand verwaschen, verfälscht. Hier geht es um Kindesmissbrauch. Angeblich
wurde der Gasthof von Kinderschändern benutzt. Man kam am Wochenende her, buchte ein Zimmer und ein kleines Mädchen
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