Lohn des Todes
Probleme teilhaben. In der Zeit nach dem letzten Herbst hatte ich meiner Mutter nie von meinen Ängsten erzählt. Sie wusste
auch nicht, dass ich meine Arbeit drastisch reduziert hatte. Möglicherweise sollte ich das ändern. Aber wollte ich so bemuttert
werden wie meine Schwester? Ich war mir nicht sicher. Nachdem ich ein wenig aufgeräumt hatte, löschte ich das Licht und ging
nach oben. Charlie folgte mir schnaufend.
Vor der Tür des Gästezimmers blieb ich stehen. Robert war gekommen, damit ich heute Abend nicht alleine sein musste. Er hätte
mich sicher auch ein weiteres Mal getröstet. Plötzlich sehnte ich mich nach seinen Armen, die mich hielten, und seinen Händen,
die mich beruhigend streichelten.
Der Mond stand hoch am Himmel, schien auf mein Bett. Wolkenfetzen zogen eilig an ihm vorbei, verdeckten immer mal wieder die
Sicht. Ich zog die Decke über mich, hörte, wie Charlie sich eine bequeme Schlafposition suchte. Irgendwann schlief ich ein.
Im Traum verfolgten mich die Lieder, die auf der Beerdigung gespielt worden waren. »Denn er hat seinen Engeln befohlen über
dir« wiegte mich durch die Nacht bis in den frühen Morgen.
Als ich aufstand, war Robert schon gefahren. Er hatte mir einen Zettel auf den Esstisch gelegt. Verwundert las ich die Nachricht.
Er war früh nach Köln gefahren, weil es neue Erkenntnisse gab, und würde sich bei mir melden.
Der Wind hatte sich gelegt, aber der Himmel war aus einem schmutzigen Blau und die Sonne verborgen. Ich lief mit dem Hund
eine Runde durch den Wald, nahm das Handy mit, doch weder er noch Martin meldeten sich. Nachdem ich geduscht hatte, setzte
ich mich ins Auto und fuhr nach Aachen. Ich brachte Charlie in die Oppenhoffallee, gab ihm zum Trost einen Kauknochen. Ich
lief die Oppenhoffallee hinauf, ging die Theaterstraße entlang und bog dann auf den Alexianergraben ein. Das psychiatrische
Krankenhaus war mir immer noch vertraut. Jutta wartete schon auf mich.
|201| »Ich habe die Akte gefunden, wollte auch nachlesen, aber es war keine Zeit. Es ist Vollmond, alle scheinen durchzudrehen.
Kollegen, Schwestern, der Chef.« Sie verdrehte die Augen.
»Danke. Darf ich die Mappe mitnehmen?«
»Eigentlich nicht, aber ich habe beschlossen, eine Ausnahme zu machen.« Sie zwinkerte mir zu. »Unter zwei Bedingungen.«
»Die da wären?«
»Du hältst mich auf dem Laufenden, denn ich finde den Fall sehr spannend.«
»Und was noch?«
»Conny, du versprichst mir, dass du über eine Stelle im Haus nachdenkst.« Sie sah mich bittend an.
Ich lachte. »Ich kann gerne darüber nachdenken, aber die Antwort lautet: Nein. Tut mir leid.«
»Ich verstehe dich, bedauere es trotzdem.«
Statt nach Hause ging ich zu meiner Freundin Miriam Nebel. Ich klingelte auf gut Glück, und sie war tatsächlich da.
»Liebelein, ich hätte dich heute angerufen.« Sie zog mich in ihre Wohnung, drückte mich in das tiefe Sofa mit den vielen Kissen
und holte eine Flasche Prosecco aus der Küche.
»Mir wäre Kaffee lieber. Ich muss noch arbeiten.«
Miriam zog die Augenbrauen hoch. »Malochen? An einem Samstag? Was ist passiert?«
Ich erzählte ihr von der OFA, von den Toten und dem Täter.
»Du kennst ihn? Na Prost Mahlzeit. Und du hast auch noch mit ihm gesprochen.« Sie schüttelte den Kopf. »Deswegen ist er nicht
abgehauen, das glaube ich nicht. Jemand, der so detaillierte Morde begeht, kann andere auch um den Finger wickeln. Er hätte
nur mit dir reden, dich verwirren müssen, du wärst durch ein Gespräch nicht auf ihn als Täter gekommen und auch niemand sonst.
Er wusste sicher, über kurz oder lang wird die DNS ihn verraten.«
»Nein, Miriam, wie denn? Es war Zufall. Maria hat Proben verglichen, die sie gar nicht hätte vergleichen müssen.«
|202| »Maria war das? Soso.«
»Ja.« Ich schaute in meinen Kaffeebecher. »Maria.«
»Soll ich fragen, oder erzählst du es mir von selbst?«
»Martin und ich? Wir versuchen es noch einmal miteinander. Er sagt, er liebt mich. Es war ein Fehler, er bereut es.«
»Ist das so? Und wo war er gestern Abend?«
»Es war ihm wichtig, bei der Exhumierung mit dabei zu sein.« Ich nahm mein Handy aus der Tasche. Kein Anruf. Enttäuscht steckte
ich es wieder ein.
»Wie war dein Tag gestern?« Sie sah mich nicht an, nippte an ihrem Prosecco.
»Beschissen.«
»Hab ich mir gedacht. Die Beerdigung war bestimmt die Hölle. Da wäre ich abends nicht gerne alleine gewesen. Aber noch mal
zu Sonja, was glaubst du?
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