Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Lohn des Todes

Titel: Lohn des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Renk
Vom Netzwerk:
Der Täter muss ein Motiv haben.«
    »Ja, wir kommen einfach nicht auf Kluges Motiv. Vielleicht gibt es ja bald schon neue Erkenntnisse.«
    Ich trank meinen Kaffee.
    »Melde dich, wenn du reden willst, Conny«, sagte Miriam zum Abschied und umarmte mich.
    »Mach ich«, versprach ich ihr.
    Sie hielt mich noch einen Moment fest, schien noch etwas sagen zu wollen, ließ es aber.
    »Conny«, rief sie mir hinterher, als ich schon die Treppe hinunterstieg. »Wie wichtig ist dir eigentlich dieser Robert?«
    »Was?« Ich drehte mich um, sah sie an.
    »Nun ja, du hast seinen Namen ungefähr doppelt so oft erwähnt wie Martins. War mir aufgefallen. Heißt bestimmt nichts.« Sie
     lachte, wandte sich um, schwenkte beide Hände in der Luft. »A gut Woch dir … und wem auch immer an deiner Seite!«
    Kurz bevor ich meine Wohnung auf der Oppenhoffallee erreicht hatte, klingelte endlich mein Handy.
    »Es gab eine Münze bei der Toten.« Martin klang atemlos.
    »Wirklich? Wo?«
    |203| »Sie war in einem Kiefernholzsarg bestattet worden, und der Boden war feucht. Das Holz fiel auseinander, es war gruselig.«
     Er stockte.
    Martin musste mir nichts weiter erklären, den Rest konnte ich mir denken. Ein dünner Sarg aus weichem Holz, nasser Boden.
     Die Verwesung war unter den Bedingungen weit fortgeschritten, die Weichteile der Leiche bestanden nur noch aus Schleim. An
     der Luft und ohne Sarg verweste ein Toter schneller, Fliegen, Käfer und Aasfresser ernährten sich von der Leiche, das Wetter
     nahm Einfluss. In einem dicken Eichensarg in trockenem Boden konservierten Leichen schon mal dreißig Jahre lang oder mehr.
     Sie mumifizierten. Je dünner und weicher das Holz des Sarges war, je feuchter der Boden, desto schneller ging die Verwesung
     vonstatten. Fliegen und ihre Maden spielten zwei Meter unter der Erde keine Rolle mehr, auch keine Aasfresser. Hier kamen
     Würmer, Käfer und Bakterien zum Zuge. Die exhumierten Leichen hatten einen ganz eigenen Geruch, an Erde erinnerte er selten.
     Ich schüttelte mich.
    »Aber es gab eine Münze?«, flüsterte ich heiser.
    »Ja, ein Fünfmarkstück. Irgendwo in ihren Innereien. Dünndarm, Dickdarm – keine Ahnung.«
    »Hilft uns das weiter?«
    »Die Täter-DNS war die gleiche wie bei den anderen Fällen, somit bestand da kein Zweifel. Diese Tote gehört aber sicher zu
     seiner Serie, er hat sie ebenso wie die anderen Leichen markiert. Es hätte ja auch sein können, das er sie nur ›so‹ umgebracht
     hat.« Martin stieß die Luft aus. »Ich bin auf dem Weg nach Köln, sie haben noch etwas herausgefunden, ich weiß aber nicht,
     was.«
    Wir verabschiedeten uns bedrückt, versprachen, in Kontakt zu bleiben.
    Mich hielt nicht viel in der Oppenhoffallee. Es war Samstag, Familientag. Die meisten meiner Freunde waren verabredet oder
     mit ihrer Familie beschäftigt. Ich hatte in den letzten Monaten meine sozialen Kontakte schleifen lassen, das rächte |204| sich jetzt. Nach zwei Stunden, in denen ich aufräumte, umräumte, durch die Wohnung tigerte, gab ich auf, packte die Sachen
     und fuhr wieder in die Eifel. Es war Samstag, Wochenende, ich sollte da sein und nicht in der Stadt.
    Ich betrog mich. Ich floh vor meinem einsamen Leben, wartete sehnsüchtig auf einen Anruf von Robert oder Martin, irgendetwas,
     was mich wieder in die OFA und somit in das Leben ziehen würde, auch wenn sie sich nur mit dem Tod befassten.
    Der Himmel hatte die Farbe von mattem Aluminium, von der Sonne war nicht viel zu sehen, aber es war trocken, die Temperaturen
     waren leidlich. Ich quälte mich mit vielen anderen an Kornelimünster vorbei, fuhr langsam die steile Straße in die Eifel.
     Bei »Frings Haus« teilte sich der Verkehr, die eine Hälfte fuhr geradeaus, die andere links. Ich fuhr links, aber an ein zügiges
     Fortkommen war nicht zu denken.
    Als ich bei Hechelscheid abbog, dankte ich dem Himmel. Mein ganzer Körper war verspannt. Ich zog meine Laufsachen und die
     Schuhe an, begann im Hof mit Dehnübungen. Charlie saß neben mir und bellte vor Freude. Im Wald war die Luft dichter, von Gerüchen
     erfüllt. Die Insekten summten eine auf- und abschwellende Melodie.
    Ich lief, bis mir alles weh tat, dann kehrte ich zum Haus zurück. Es war immer noch so leer, wie ich es verlassen hatte. Müde
     ließ ich Wasser in die Wanne. Der Boiler keuchte asthmatisch, heizte aber gehorsam. Ich ließ mich in die Wanne gleiten. Vor
     dem Fenster zog die Dämmerung auf, warf Schatten. Dampfschwaden wie Kumuluswolken

Weitere Kostenlose Bücher