Lohse, Eckart
überaus selbstbewusstes Auftreten
sowie die Vorstellung einer »von Selbstzweifeln freien Persönlichkeit«, die
für Führungsaufgaben in besonderem Maße geeignet ist. Dass viele Beispiele
gegen diese Auffassung sprechen, hat dem Mythos vom Adel wenig anhaben können.
Hinzu kommt der Reiz einer
Minderheit, die sich durch ihre kulturellen Praktiken vom Rest der Bevölkerung
abgrenzt. Die besondere Bedeutung der Verwandtschaft und der Familienbande,
das Heiraten in einem begrenzten Kreis, die exklusiven Gesellschaften, Salons
und Klubs, die Tanzstunde für adlige Jugendliche, die von Adligen geführten
Wohlfahrtsverbände, das Leben auf Schlössern, Burgen und in Gutshäusern - das
alles trägt dazu bei, dass der Adel als eine soziokulturelle Erscheinung
fortlebt und weiter Faszination ausübt. Sein realer Niedergang steht dabei in
eigentümlichem Verhältnis zum Ansehen, das der Adel immer noch genießt.
Der Verlust der politischen und
wirtschaftlichen Privilegien hat es dieser Minderheit - zu Anfang des 20. Jahrhunderts
stellten die Adelsfamilien 0,15 Prozent
der Deutschen - schwer gemacht, sich von anderen Gruppen der modernen Gesellschaft
abzugrenzen. Da diese Abgrenzung nicht mehr durch Titel, Ränge und
herausgehobene Funktionen möglich ist, kommt dem Sonderbewusstsein des Adels
eine umso größere Bedeutung zu. Dieses Bewusstsein wird vor allem durch die
Sozialisation in der Familie erzeugt und weitergegeben. Für den Adel bedeutet
Familie mehr, als gewöhnlich in bürgerlichen Vorstellungen damit gemeint ist.
Der Familienbegriff ist sehr viel weiter gefasst, auch sehr entfernte Verwandte
gehören dazu, und was als Vetter oder Cousine bezeichnet wird, hat mit der
landläufigen Bedeutung dieser Verwandtschaftsgrade oft wenig zu tun. So wird
etwa der Regisseur Florian Henckel von Donnersmarck, der für seinen Film »Das
Leben der anderen« einen Oscar gewann, immer wieder als »Cousin« von
Karl-Theodor zu Guttenberg bezeichnet - auch die Guttenbergs selbst bezeichnen
ihn so. Tatsächlich hatte Karl-Theodors Urgroßtante Maria Franziska Gräfin zu
Eitz einen Maria Lazarus Graf Henckel von Donnersmarck geheiratet. Der wiederum
ist ein Großonkel des Regisseurs. Von Cousin kann also nicht die Rede sein.
Guttenberg ist vielmehr ein Neffe vierten Grades von Florian Henckel von
Donnersmarck. Aber unter Nachfahren des Adels gilt eben auch der sechste Grad
noch als verwandt. Es wundert deshalb nicht, wenn zu größeren Familienfesten,
etwa einer »adlig-adligen« Hochzeit, mehrere hundert Gäste aus der
Verwandtschaft eingeladen werden.
Eine so große Familie bietet zudem
den Vorteil, in der Auswahl derer flexibel sein zu können, die als Vorbilder
genutzt werden. Frei nach der Volksweisheit, dass es neben der Wahlverwandtschaft
auch immer die Prahlverwandtschaft und die Qualverwandtschaft gibt, hat auch
der Adel gern die besonderen Leistungen Einzelner aus der großen Schar der Verwandten
als Ausweis der Brillanz und Leistungsfähigkeit der Familie oder des Adels
insgesamt herausgestellt, ebenso wie man sich im Falle schwarzer Schafe gern
der selektiven Erinnerung bedient hat.
Die Familie wird vom Adel auch in
zeitlicher Perspektive viel weiter gefasst als im bürgerlichen Familienbegriff.
Der Adlige begreift sich als Teil einer langen Kette von Ahnen. Deren
Überlieferung muss er kennen und bewahren, muss sich ihrer als würdig erweisen
und sie an die kommenden Generationen weitergeben. Die adlige Kette zeigt sich
in Stammbäumen, Gemäldegalerien der Ahnen, in Wappen oder in Familiengrüften,
zuallererst aber in dem adligen Namen selbst. Seit der Weimarer Republik ist
der Adelstitel in Deutschland abgeschafft, aber als Bestandteil des Namens
weiter präsent. Jemand, der früher ein Graf Otto Lambsdorff gewesen wäre, war
also, um das Beispiel des verstorbenen FDP-Politikers und früheren
Wirtschaftsministers zu nehmen, ein Otto Graf Lambsdorff. In Österreich
hingegen sind alle Titelbezeichnungen offiziell abgeschafft und nicht zu
Namensbestandteilen geworden, auch ein Nachfahre des letzten Kaisers heißt
heute nur noch Felix Habsburg. In Deutschland hat Ende 2010 die
Vize-Vorsitzende der Linkspartei, Katja Kipping, gefordert, in der Frage
adliger Namen »endlich österreichische Verhältnisse« zu schaffen. Anlass für
ihren Vorstoß ist der Minister Karl-Theodor zu Guttenberg. Der CSU-Mann versuche
»sich als jemand darzustellen, der anders ist als das politische
Establishment«. Dabei knüpfe er »an die
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