Lohse, Eckart
als
könne er definieren, was ein Vergleich sei und was nicht. So wie er zu Beginn
der Rede behauptet hat, sein Auftritt habe mit einer Verschwörung gegen Merkel
oder Seehofer nichts zu tun.
Vielleicht hat er damit sogar
recht. Denn was sich am Nachmittag jenes 2. Oktober 2010 in der
Berliner CDU-Zentrale abspielt, ist keine heimliche Verschwörung. Es ist ein
offener Angriff: »Was wir uns heute im politischen Geschäft wünschen, ist
etwas mehr Leidenschaft.« Guttenberg fordert »Bekenntnisse« zur politischen
»Gestaltung auf der Grundlage eines christlichen Selbstverständnisses«.
Er schwitzt. Er kämpft.
Das ist keine seiner routinierten
Reden zur Bundeswehrreform mit ein paar Späßchen fürs Publikum. Dann fährt er
die ganz große Kanone auf. Zum 20. Jahrestag
der Einheit macht er Adenauer und Kohl zu seinen Kronzeugen, ohne die nach dem
Mauerfall so machtvoll gewordene Angela Merkel auch nur zu erwähnen. »Konrad
Adenauer und Helmut Kohl stehen dafür, dass man sich zu etwas bekennt.« Von
ihnen könne man die Leidenschaft lernen, die Politik brauche. War der Beifall
bislang schon stark, so gibt es jetzt Versuche, ihn rhythmisch werden zu
lassen.
Als wolle er zeigen, welche
Palette von politischen Themen er bereithält, folgt ein Ausflug zum Thema
Rente. Er warnt vor einer Politik, die nur auf Wahlerfolge blicke: Die »Leute
draußen haben die Schnauze voll davon«, wenn man sich nur in
Versprechensspiralen von Wahltag zu Wahltag drehe, donnert er. Kaum ein Satz,
ohne dass er ausladend mit den Armen gestikuliert, auf den Füßen wippt, den
Oberkörper vor und zurück pendelt oder ruckartig den Kopf zur Seite dreht.
Guttenberg lebt, Guttenberg bebt.
»Wer in die Politik geht, der will gestalten. Wer gestalten will, der braucht
die Fähigkeit zur Führung. Führung heißt, unbequeme Wahrheiten vorgeben, auch
mal eine Richtung vorgeben.«
Erst wenige Tage zuvor hatte der
Merkel-Vertraute und Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Volker Kauder
von der CDU, mit leichter Bewunderung in der Stimme gesagt, Guttenbergs Umgang
mit der Bundeswehrreform sei ein »klassischer Fall von Führung in der
Demokratie«. Ist es aber nicht genau das, was in der Union auf immer mehr Unzufriedenheit
stößt: dass es Angela Merkel an Leidenschaft, am Willen zur Gestaltung und
schließlich zur Führung fehlt? Dass sie mit ihrer Handvoll Vertrauter nur noch
darauf achtet, ihre Politik auf den nächsten Wahltag auszurichten?
Guttenberg muss den Namen Merkel
gar nicht erwähnen, es geht unausgesprochen ständig um die Kanzlerin. Er
fordert nun schon fast aggressiv eine Politik, die sich nicht nur danach
ausrichtet, wohin gerade die vermeintliche Mehrheitsmeinung wabere, sondern die
selbst Maßstäbe setze. Es gebe »nichts Grauenvolleres« als die Worte, man müsse
die Menschen »mitnehmen«. Es spielt Guttenberg in die Hände, dass just an jenem
Samstag der niederländische Rechtspopulist und Islamkritiker Geert Wilders in
Berlin eine Rede hält. Guttenberg warnt davor, dass »irgendwann die Stunde der
Rechtspopulisten« schlage. Die Botschaft, die mitschwingt, könnte eindeutiger
nicht sein: Wenn die Volksparteien in Deutschland nicht bald wieder zu einer
klaren, an Werten und Bedürfnissen der Menschen statt an Meinungsumfragen über
das Wahlverhalten ausgerichteten Politik kommen, dann hat auch hier ein Populist
eine Chance. Seine knapp einstündige Rede in der CDU-Parteizentrale darf als
Bewerbung verstanden werden, für eine solche Politik die Führung zu übernehmen.
Nein, eine Verschwörung ist das
wirklich nicht. Alles geschieht auf offener Bühne.
Als kleinen Test darauf, wie sehr
er als Feldherr taugt, kommt Guttenberg zum Schluss noch auf Afghanistan zu
sprechen. Er könne beurteilen, was es heißt, dort die Augen zu verschließen.
Wer kann damit gemeint sein, außer der Regierung Merkel, die den Einsatz seit
fünf Jahren verantwortet und sich lange so schwer tat mit klaren Worten? »Es
war bitter geboten, endlich dort von Krieg zu sprechen!«, donnert Guttenberg
den jungen Leuten entgegen, und der Applaus donnert zurück. Die von ihm selbst
vor einem knappen Jahr geprägte rhetorische Zwischenlösung »kriegsähnliche Zustände«
ist schon Geschichte. Das Wort Krieg geht ihm inzwischen selbstverständlich
über die Lippen. Und auch sein Fotoshooting an der vordersten Front in
Afghanistan, wo er sich einige Wochen zuvor im Kampfdress mit Sonnenbrille
filmreif ablichten ließ, verkauft er dem Publikum
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