Lohse, Eckart
Guttenberg, Karl Theodor dem Älteren, wie er hier der Eindeutigkeit
halber ab und an genannt werden soll, löst die Nachricht, dass ein Stammhalter
geboren wurde, Freude und Erleichterung aus. Karl Theodor zu Guttenberg hatte
mit seiner Frau Rosa Sophie, geborene Prinzessin von Arenberg, im Laufe von
zwölf Jahren fünf Kinder bekommen: die vier Mädchen Elisabeth, Michaela,
Benedikta und Praxedis - Benedikta starb schon wenige Wochen nach ihrer Geburt
- und den Jungen Georg Enoch, geboren 1946, das zweite
der vier Kinder. Dass Enoch, der einzige Sohn, nun wieder einen Sohn bekommen
hat, bedeutet: Der Name Guttenberg wird in direkter Linie fortleben, ein
weiterer zukünftiger Schlossherr ist geboren. Das ist wichtig für eine Familie,
deren erste urkundliche Erwähnung auf das Jahr 1158 datiert.
Und die auf einem Schloss in einem 600 Einwohner
zählenden Dorf wohnt, das den gleichen Namen trägt wie sie selbst: Guttenberg.
Es ist eine Familie, die etwas darauf hält, von Adel zu sein.
Mythos Adel
Die Faszination, die vom Adel auch
in Deutschland ausgeht, ist ungebrochen. Die Hochzeiten von Kronprinzen und
Kronprinzessinnen europäischer Königshäuser werden zu den besten Sendezeiten im
Fernsehen live übertragen, Adelsserien haben Konjunktur, und der Klatsch und Tratsch
über Liebschaften, Ehekrisen und Schwangerschaften, über Zerwürfnisse,
Versöhnungen und Erbstreitigkeiten aus den berühmten Adelshäusern dieser Welt
ist der Stoff, aus dem sich eine ganze Industrie, die Regenbogenpresse, speist.
Adel ist bei großen Teilen der Deutschen nach wie vor »in« - sie verbinden ihn
mit Glanz und Glamour, er steht für etwas Dauerhaftes, Außergewöhnliches und
Märchengleiches, und die Kabale und Liebe der großen europäischen Königs- und
Adelshäuser lassen sich verfolgen wie eine Reality-Seifenoper. Das Interesse
ist besonders stark an den Adelsfamilien in denjenigen Ländern, in denen die
Königshäuser noch eine politische, wenn auch größtenteils repräsentative
Funktion haben, wie etwa in Großbritannien und in Schweden. Ein inniges Verhältnis
zu ihrem eigenen verflossenen Hochadel, etwa zum Haus Hohenzollern, haben die
Deutschen nicht. Und auch eine Monarchie wünscht sich die große Mehrheit der
Deutschen nicht. Auf die Frage, ob der Adel wieder eine größere Rolle in
politischen Spitzenpositionen spielen sollte, antworteten 89 Prozent
der Befragten im Oktober 2010 mit Nein
und nur acht Prozent mit Ja.
Streng genommen ist die Frage nach
der Bedeutung des Adels falsch gestellt. Denn den Adel gibt es in Deutschland
schon gut 90 Jahre nicht mehr. Mit der Weimarer
Reichsverfassung wurden am 14. August 1919 alle
Vorrechte des Adels abgeschafft. Per »Adelsgesetz« wurde 1920 in Preußen
und dann in den anderen Ländern der Adel als rechtlich privilegierte Gruppe
auch tatsächlich entmachtet. Der Verlust der militärischen, politischen und
wirtschaftlichen Macht des Adels, der schon mit der industriellen Moderne
eingesetzt hatte, war damit zum Abschluss gekommen. Zwar hatte der Adel sein
Machtmonopol mit der Ausweitung von Industrie, Handel, Technik und Wissenschaft
schon im 19. Jahrhundert verloren. Doch mit dem
Schnitt des Jahres 1919 war auch
seine im frühen Mittelalter beginnende, mehr als 1000 Jahre währende
Geschichte offiziell vorbei, einschließlich der Rolle als Funktionselite des
Staates, die ihm Diplomaten, Offiziere und Beamte gestellt hatte. Der Ausgang
des Zweiten Weltkrieges beschleunigte den Niedergang des Adels. Viele Familien
verloren ihren Grundbesitz im Osten, wurden zum »Etagenadel«, zu
Flüchtlingen, die sich mit einer Wohnung auf der Etage zufriedengeben mussten.
In der Bundesrepublik wurden, wie Eckart Conze schreibt, aus ostelbischen
Grundbesitzern westdeutsche »Weltanschauungsbesitzer«.
Dennoch ist der Mythos mächtig
geblieben. Zwar existiert der Adel als politische Einheit nicht mehr, als
kulturelle Größe und als Idee lebt er aber fort. Der Adel ist, wie der Historiker
Stephan Malinowski schreibt, eine »Minderheit mit großer Ausstrahlungskraft«
geblieben. Dabei sind es die Idealbilder, die andere Gruppen dem Adel
zuschreiben und die der Adel sich auch selbst zuschreibt, die diese
Attraktivität ausmachen. Die »Vorstellung vom vererbbaren Besitz bestimmter
Qualitäten« ist sozusagen die Vorbedingung für die Existenz des Adels. Solche
vermeintlichen Qualitäten betreffen charakterliche Eigenschaften, vor allem
aber den Habitus des Adligen. Dazu gehört ein
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