Lohse, Eckart
die griechische Sage von Ikaros hingewiesen. Der
flog bekanntlich mit seinen Flügeln so hoch, dass die Sonne das Wachs, das die
Federn zusammenhielt, zum Schmelzen brachte und der Jüngling ins Meer stürzte.
Rücktrittsdrohungen
»to go«
An »einem Tag« oder »jeden Tag«
wird das Ende nicht kommen. Aber ein Weg, der so steil bergauf führt, enthält
natürlich das Risiko, dass er ebenso steil in die Tiefe geht. Deutschlands
beliebtester Politiker hat sich einen kleinen Trick angeeignet, um den Schmerz
nach dem Absturz lindern zu können, falls der Ernstfall eintreten sollte. Wie
kein Politiker in der jüngeren Geschichte der Bundesrepublik vor ihm kokettiert
er unablässig mit der Möglichkeit, aus der Politik auszusteigen und etwas ganz
anderes im Leben zu machen. Gerhard Schröder setzte die Rücktrittsdrohung als
Kanzler so oft ein, dass sie sich irgendwann abnutzte. Aber gegen das
Ich-kann-auch-anders-Stakkato von Karl-Theodor zu Guttenberg legte sich
Schröder geradezu strenge Zurückhaltung auf.
Schon in der berühmten Opel-Nacht
im Kanzleramt im Frühjahr 2009 stellt
Guttenberg nach wenigen Monaten im Amt dieses zur Verfügung. Die Kanzlerin
nimmt das Angebot nicht an. Wenig später schwadroniert er von »Sabbaticals«,
also Auszeiten, in der Politik, die sinnvoll wären. Als er im Sommer 2010 das
Kabinett auf einer Klausurtagung mit seinem Vorstoß überrollt, die Wehrpflicht
abzuschaffen, verbindet er auch das mit Rücktrittsdrohungen. Kurz darauf
erregt Guttenberg sich maßlos, weil im Kanzleramt ohne sein Wissen ein
Gutachten in Auftrag gegeben wurde, in dem es um Einzelheiten seiner Vernehmung
vor dem Kundus-Untersuchungsausschuss zur Bombardierung zweier Tanklaster im
September 2009 geht. Vor Freunden und Vertrauten
stellt er Erwägungen an, sein Amt niederzulegen. Gleichsam sprachlos vor Zorn
sagt er damals: »Solche Vorgänge lassen sich kaum kommentieren.« Er fühle sich
isoliert, keiner rede mit ihm, das Vertrauen sei »total zerrüttet«. Er streitet
mit Kanzleramtsminister Ronald Pofalla, aus dessen Haus der Auftrag für das
Gutachten kam, sagt der Kanzlerin am Handy die Meinung. Dabei geht es um eine
Unachtsamkeit auf der Referatsleiterebene, schlimmstenfalls um eine kleine
Boshaftigkeit des Kanzleramtschefs gegen den Verteidigungsminister. Aber
nachgewiesen ist das nicht. Während man in Guttenbergs Ministerium eine
Intrige wittert, heißt es im Kanzleramt, es handele sich um einen ganz
normalen Vorgang.
Das wirkt etwas mimosenhaft von
Guttenberg. Wer mit dem goldenen Umfragelöffel im Mund politisch groß geworden
ist, mag eben zur Empfindlichkeit neigen. Doch steckt noch etwas anderes hinter
der Dauerdrohung. Zumindest so lange, wie die Zuneigung des Volkes groß ist,
kann es diese noch verfestigen, wenn jemand mit Hinweis auf die bösen anderen
sagt, er könne ja auch gehen, wenn er nicht mehr gewollt sei. Riskant wird das
erst, wenn die Beliebtheitswerte einmal nicht mehr gut sind. Dann könnte
Guttenberg ein Jonglieren mit dem Rücktritt als Eitelkeit und Unernst ausgelegt
werden nach dem Motto: Da hat es einer nicht nötig, sich für einige lächerliche 100000 Euro im Jahr als Minister zu schinden. Fürs Erste
freilich bleibt Guttenberg bei seinem Kurs. Es kann sogar passieren, dass er
bei einer Zufallsbegegnung mit einem Journalisten von 20 Minuten
Länge einfließen lässt, er könne sich auch etwas anderes als die Politik
vorstellen. Eine Rücktrittsdrohung »to go« sozusagen.
Die Umfragen bleiben stabil für
Guttenberg. Im Bundestagswahlkampf 2009 gelingt es
der Kanzlerin noch einmal, ihn auf Platz zwei in den Beliebtheitswerten zu
verdrängen, aber das bleiben Momentaufnahmen. Während Merkel zwischendurch
auch mal auf Position fünf absackt und nur noch einen Platz vor dem
SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel steht, ist Guttenberg fast durchgängig die
Nummer eins, weitgehend unabhängig davon, was er politisch gerade macht. Je
populärer Guttenberg wird, desto absurder werden die Fragen, die sich die
Institute ausdenken. So können sich angeblich sogar viele Deutsche vorstellen,
mit ihm in den Urlaub zu fahren, oder hielten seine Gattin für eine gute
Ministerin, obwohl die gar keine Politikerin ist.
Ende des Jahres 2010 veröffentlicht
die Zeitschrift »Super-illu« die Umfrage eines Leipziger Instituts unter 1002 Ostdeutschen.
Gefragt wird nicht nach dem beliebtesten Politiker, sondern nach dem
beliebtesten Deutschen des Jahres 2010. Das Rennen
macht mit weitem
Weitere Kostenlose Bücher