Lokalderby
stachelte ihn Katinka an. »Legst du dich irgendwo auf die Lauer und observierst?«
Paul sah sich bei der Ehre gepackt und wollte entschlussfreudig wirken. Da ihm auf die Schnelle nur der Tipp seines Vaters einfiel, sagte er spontan: »An der Schweinauer Hauptstraße. Dort gibt es ein Nest voller vielversprechender Club-Fans.«
»Dann lass dich nicht aufhalten: Heb das Nest aus!«
Der Seitzengarten wirkte von außen wie viele andere Häuser in der Gegend: Die Front bestand aus soliden, leicht ins Rötliche gehenden Sandsteinquadern sowie einigen Steinmetzverzierungen über den Fenstersimsen und der Tür. Über einer Zirndorfer-Leuchtreklame war der Name des Lokals zu lesen. Auch der Gastraum selbst bot keine Überraschungen, war gediegen eingerichtet, wobei dunkle Holztöne überwogen. Ein schaler Geruch von abgestandenem Bier, kaltem Kaffee und Küchendunst lag in der Luft, aus einem in Wandfarbe übermalten Deckenlautsprecher plärrte Schlagermusik. Dass es sich um eine Club-Gaststätte handelte, erkannte der Neuankömmling in erster Linie an den vielen Fahnen und Wimpeln mit FCN-Logo und Vereinsfarben sowie an alten und teilweise bereits vergilbten Mannschaftsfotos.
Paul sah sich zu dieser für einen Kneipenbesuch allzu frühen Stunde nur einer Handvoll gelangweilt dreinschauender Männer gegenüber, die an einem der Holztische saßen, Helles oder Radler tranken und Schafkopf spielten. Hinterm Tresen stand der Wirt und servierte der einzigen Frau im Raum gerade eine Tasse Kaffee. Nicht gerade das, was man pulsierendes Leben nennt.
Paul hatte vor, an der Theke ebenfalls ein Radler zu bestellen und sich dann zu der Männerrunde zu gesellen, aber die Frau – eine verblasste, leicht ins Rundliche gehende Schönheit um die 50 – sprach ihn an, kaum dass er neben ihr stand: »Man sehe und staune, ein neues Gesicht! Was hat Sie denn hierher verschlagen? Haben Sie sich verfahren?«
Bevor Paul antworten konnte, ergriff der Wirt, ein robuster Thekenprofi mit nach hinten gekämmtem, schwarzem Haar, das Wort: »Der hat bestimmt von meinem legendären Leberkäs gehört.«
»Weder noch«, ging Paul erheitert auf diese ungewohnt offene Begrüßung ein. »Ich bin sozusagen Club-Fan im ersten Lehrjahr und möchte dazulernen.«
»Und ich dachte, sie hätten den Leberkäs schon von draußen gerochen«, sagte der Wirt in tiefstem Bayerisch, woraufhin Paul meinte: »Sie stammen wohl nicht von hier?«
»Ich komme aus Pasing.«
»Liegt das am Nordpol?«
»Nein, das ist ein Stadtteil von München.«
»München. Ja, davon habe ich schon gehört. Aber ich dachte, das gibt es nur im Oktober.«
Ein strahlendes Lächeln legte sich über das verschmitzte Gesicht der Frau. »Sie sind wohl ein Witzbold? Aber wenn Sie sich für Fußball interessieren, sind Sie bei uns goldrichtig. Erst recht mit dieser Einstellung gegenüber den Münchnern.« Sie streckte ihm ihre Hand entgegen. »Ich bin Rita Frenzel, für Sie die Rita.«
»Sie ist unsere Chefin«, ergänzte der etwas zu klein geratene Wirt. »Die Vorsitzende des Fanklubs Seitzengarten.«
»Wir gehören zu den alteingesessenen Fanklubs. Solide durch und durch, Mitgliederschwund gleich null«, erklärte Rita nicht ohne Stolz. »Wenn Sie bei uns einsteigen, haben Sie die richtige Wahl getroffen.«
Für Paul klang das so, als sollte er sogleich die Aufnahmeerklärung unterschreiben. »Ich will nichts überstürzen. Vorerst nur mal reinschnuppern.«
»Kein Problem«, meinte Rita, rückte mit ihrem Barhocker etwas zur Seite und fragte: »Wollen Sie etwas trinken? Ich gebe Ihnen einen aus. Schließlich schneit bei uns nicht jeden Tag jemand rein, der glatt als George-Clooney-Double durchgehen könnte.«
»Danke für das Kompliment«, gab Paul zurück und orderte statt eines Radlers nun ebenfalls einen Kaffee. »Eigentlich bin ich in erster Linie daran interessiert, worüber bei den Fans zurzeit so geredet wird. Was sind die Topthemen, die den Fanklub umtreiben?« Er erkannte die Fragezeichen in den Gesichtem von Rita und dem Wirt und ergänzte schnell: »Ich möchte doch mitreden können, wenn ich beim nächsten Spiel ins Gespräch mit den anderen Zuschauern komme.«
Rita machte ihrer Funktion als Vorsitzende alle Ehre, indem sie Paul eine persönliche Einschätzung beinahe des kompletten Kaders herunterbetete, begonnen bei Torhüter Raphael Schäfer, den sie als »unumstrittene Nummer eins« titulierte. Sie sprach über Abwehrspieler Timothy Chandler als »Shootingstar« und
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