Lokalderby
Hier musste es sich um Svetlana handeln.
Für einen Moment gab sich Paul zufrieden mit seiner Analyse. Dieses Gefühl der Zufriedenheit hielt aber nicht lange an. Denn etwas wirklich Erhellendes hatte er nicht aus den Bildern herauslesen können. Vor allem hatte er keinen in irgendeiner Form bemerkenswerten Vorgang entdeckt: Niemand verhielt sich auf den Fotos auch nur ansatzweise so, als würde er etwas verbergen, die Flucht ergreifen oder sich mit heimtückischer Freude am Tod des Busfahrers ergötzen.
Paul sah auf die Uhr und geriet in Hektik, weil er noch etwas vorhatte und nicht zu spät kommen wollte. Gleichwohl mochte er sich nicht von seiner Fotoschau losreißen, solange er auf nichts Brauchbares stieß. Er überwand den Interessenkonflikt kurzerhand, indem er seinen Drucker einschaltete. Dann würde er die Fotos eben mitnehmen zum Kochkurs. Und vielleicht könnte er sie Jan-Patrick bei der Gelegenheit mal zeigen. Im Goldenen Ritter verkehrten ja etliche Club-Spieler, da konnte es nichts schaden, wenn der Wirt einen Blick auf die Bilder werfen würde.
Der Wirt aber dachte gar nicht daran, sich auf Pauls neuesten Spleen einzulassen und sich die Fotos anzuschauen. Nicht bevor Paul seine heutige Lektion der hausgemachten Gourmetküche absolviert haben würde.
»Lass deine Bilder stecken, Paul«, duldete der wie stets energiegeladene Restaurantchef keinen Widerspruch. In voller Kochmontur hatte er Paul schon in der Tür seines Lokals abgefangen und ihn schnurstracks in die Küche geführt. Während dort seine Gehilfen die Speisen für die Gäste zubereiteten, hatte Jan-Patrick für Paul trotz der beengten Verhältnisse einen Platz freigeräumt, an dem dieser sich austoben sollte: eine blankgeputzte Arbeitsplatte, blitzsaubere Messer jeder Größe in griffbereiter Nähe, ein Berg aus Zutaten wie frisch vom Markt.
»So, mein Lieber«, sagte der kleine Mann mit dem großen Ego. »Du willst deine Kati verwöhnen und am Herd glänzen wie ein Profi? Dann dürfen wir die nächste Lektion nicht auf die lange Bank schieben!«
Auch das noch, dachte Paul, der auf seinen persönlichen Kochkurs diesmal gern verzichtet hätte. Gerade jetzt, da ihn Katinka frei schalten und walten ließ, durfte er keine Zeit verschenken. Andererseits: War er es Katinka nun nicht erst recht schuldig, für sie neue Fertigkeiten zu erlernen? Mit einem leicht gequälten Lächeln akzeptierte er die Aufforderung.
»An was möchtest du dich heute versuchen?«, wollte Jan-Patrick wissen und sah ihn erwartungsvoll bis ungeduldig an.
Paul schielte auf das große Hälterbecken im hinteren Teil der Küche, in dem Forellen, Karpfen und Waller in sprudelndem Quellwasser schwammen und auf ihren Auftritt warteten.
Der Koch deutete diese Blicke und schlug vor: »Ein Fischgericht also. Was hältst du von roh marinierter Sushi-Makrele mit Streifen der Wassermelone zur Vorspeise, dann Saibling, gegart auf Fenchelstroh, bestreut mit Aniskrokant. Gefolgt von Wurzelfleisch vom Waller mit Rote-Bete-Ricotta-Ravioli an Tafelspitzsud. Und zum krönenden Dessert Früchte mit Eisenkrautsorbet und Keksstreuseln.«
»Dann fangen wir mit den Keksstreuseln an«, meinte Paul und erklärte: »Ich werde heute ganz sicher nicht mein Diplom in deinem Kochkurs ablegen, denn mir gehen ganz andere Gedanken im Kopf herum. Können wir nicht etwas Einfaches ausprobieren?«
Jan-Patrick war unschwer anzusehen, dass er nicht der richtige Mann für einfache Dinge sein wollte. Zumindest nicht, wenn er sich in den heiligen Räumen seiner Küche aufhielt. Grimmig starrte er auf den Gemüseberg und sagte nach reiflicher Überlegung: »Also gut. Dann lass uns ein Ratatouille anrichten, das geht recht flott. Aber ein gescheites fränkisches!« Wieselflink eilte er zu einem seiner chromglänzenden Kühlschränke und beförderte eine Schale mit Hackfleisch zutage. »Und zwar eine Bratwurstgehäck-Ratatouille-Pfanne. Ein simples Rezept für eine umso köstlichere Speise. Bist du bereit?«
Paul band sich brav eine parat liegende weiße Schürze um. »Aber wenn wir fertig sind, wirfst du einen Blick auf die Bilder, einverstanden?«
Statt zu antworten schob ihm der Koch einen Gutteil des Gemüsebergs herüber. »Die Zwiebeln und den Knoblauch häuten und in kleine Würfel zerteilen. Die Aubergine sowie die Zucchini in Scheiben schneiden. Die Paprika – übrigens eine aus den Knoblauchsländer Gewächshäusern – hackst du.«
Paul tat, wie ihm geheißen, während sein Freund Olivenöl in
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