Lokalderby
gab es allerdings eher persönliche statt sportliche Motive: Angeblich hatte er sich in eine Fürtherin verliebt, was ihm die Nürnberger nie verziehen hätten.«
Paul lachte. »Kaum zu glauben, diese Anekdote.«
»Wie so viele andere wahre und halbwahre«, sagte der Pfarrer und wirkte mit einem Mal sehr ernst. »Das Konkurrenzdenken zwischen den Klubs – und auch zwischen den Fans – ist mit den Jahren nicht kleiner geworden. Wir können nur hoffen, dass die Partie morgen glimpflich verläuft. Sowohl auf dem Feld als auch auf der Straße.«
»Du spielst auf den Überfall auf die Fürther Fankneipe an, ja?«
Fink machte eine wegwerfende Handbewegung. »Kinderkram! Die reiben sich in Wahrheit doch schon seit Ewigkeiten. Fürth gegen Nürnberg, das ist das älteste und das meistgespielte der großen Nachbarschaftsduelle, die Großmutter aller Derbys, wie der Fürther Klubchef Helmut Hack gern sagt. Diese Großmutter hat viele ungezogene Enkel hervorgebracht: die Rowdies unter den Fans. Schon bei der Fahrt zum Länderspiel 1924 in Amsterdam, das ausschließlich von Kickern beider Vereine bestritten wurde, mussten Spieler wie auch Fans wegen ihrer Rivalitäten in getrennten Waggons untergebracht werden. Und auch die Sache mit den Bengalos ist beileibe nicht neu: Schon Mitte der Siebzigerjahre kam es zu einem Spielabbruch, weil Nürnberger Anhänger Feuerwerkskörper gezündet und den Platz gestürmt hatten.«
»Aber woran liegt’s?«, versuchte Paul, dem das Bier schnell zu Kopfe stieg, die Ursache der Jahrzehnte überdauernden Fehde zu ergründen. »Bloß weil sich die Nachbarstädte seit jeher als Konkurrenten betrachtet haben?«
Fink zuckte mit den Schultern. »Schwierige Frage. Da muss ich wohl philosophisch werden.« Er nahm einen großen Schluck Herzblut zu sich. »Es liegt inzwischen wohl weniger an den Fürthern, denn bei denen überwiegt momentan noch das Gefühl der Dankbarkeit, in der Ersten Liga dabei sein zu können. Letztlich kommt es auch bei einem Derby auf die Größe an, und es sollte unter den Nachbarn unstrittig sein, dass der Club die Nummer eins in der Region ist und bleibt. Das Problem sehe ich in der Nürnberger Selbstwahrnehmung, die immer schon von einem Gefühl der Schwäche dominiert wurde. Diese speist sich aus der allgemeinen fränkischen Demutshaltung – oder sagen wir: Minderwertigkeitsgefühlen. Aber wohl auch aus der Geschichte des sportlichen Scheiterns heraus. Und da scheint es der ein oder andere für nötig zu halten, sich einen Kleineren zu suchen, auf dem er herumhacken kann. Wehe nur, wenn der Kleinere das Derby gewinnt.«
Paul fand es nun an der Zeit, seinem Freund von Svetlana und ihrem irrwitzigen Plan zu berichten. Während er vortrug, rechnete er stets damit, dass ihn Fink unterbrechen und von seinem Vorhaben abbringen würde. Doch das tat er nicht. Im Gegenteil: Selbst als Paul die ganze Geschichte erzählt und die möglichen Konsequenzen aufgezeigt hatte, blieb der Pfarrer ruhig sitzen und beobachtete ihn aus seinen dunklen, klugen Augen.
»Und?«, fragte Paul, nachdem vonseiten Finks nichts kam. »Hältst du mich für übergeschnappt?«
»Nein«, meinte Fink ohne jedes Zögern. »Ich halte dich für leichtsinnig, ja, aber das ist nichts Neues. Wenn du der Ansicht bist, dass du mit der Sichtung von Sakowskys Unterlagen ein Gewaltverbrechen aufklären kannst, dann solltest du es tun. Denn ergreifst du diese Chance nicht, wirst du dich später ärgern und dir Vorwürfe machen. Zu Recht, denn womöglich entginge durch deine Passivität ein Mörder seiner Verurteilung durch ein irdisches Gericht.«
»Du rätst mir also zu?«
»Wenn es wirklich keine Möglichkeit gibt, die Sache gemeinsam mit der Polizei in Angriff zu nehmen, dann ja.«
Mit großer Genugtuung und einem wiederhergestellten Wohlbefinden leerte Paul sein Glas und ließ die letzten Schlucke Herzblut durch seine Kehle fließen.
17
Diesmal hing der Haussegen wirklich schief, sehr schief sogar. Natürlich hatte ihm Katinka eine Abfuhr verpasst: »Du kannst mich mal!«, war ihre heftige Reaktion auf sein Angebot, ihr die beiden Fußballtickets für einen Besuch des Derbys gemeinsam mit Hannah zu überlassen. Den Rest des Abends und auch das darauffolgende Frühstück über strafte sie ihn mit Missachtung und Schweigen. Das schmerzte Paul, denn sein Harmoniebedürfnis nahm es ihm übel, wenn sich Streitereien mit nahestehenden Menschen in die Länge zogen, und bei Katinka war es besonders
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